Fünf Mrd. Dollar futsch in einer Bilanz-PK: Wie sich die Twitter-Chefs um Kopf und Kragen redeten

Wie demontiert man sich am besten selbst? Das Twitter-Management, seit Jahren durch Wankelmütigkeit und verwunderliche Aussagen bekannt, schoss in der gestrigen Analystenkonferenz den Vogel ab und verwandelte ein Kursplus von 11 Prozent nach der Bilanzvorlage in ein Minus von 12 Prozent. Mitbegründer Jack Dorsey wurde seinem Image als Kursgift vollauf gerecht.
Blick ins Leere: Twitter-CEO Jack Dorsey ist ein Mann auf einer Mission – aber ohne Fortune

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Eines muss man Jack Dorsey lassen: Der neue, alte Twitter-Chef geht so konsequent und schmerzbefreit seinen eigenen Weg wie in diesen Tagen wohl nur eine andere Figur des öffentlichen Lebens: Yanis Varoufakis.

Wer das bizarr-arrogante CNBC-Interview zur Inthronisierung als Interims-CEO noch als Ausrutscher zum Debüt abtun wollte, der wurde gestern eines besseren belehrt: Live, in Farbe und mit ruckelnder Verbindung bei der neuen Videostreaming-Tochter Periscope, wo Twitter erstmals seine Analystenkonferenz übertrug.

Was zu einem Anschub für den neuen Hype-Dienst werde sollte, kostete am Ende Milliarden an Börsenwert. Binnen der rund halbstündigen Analystenkonferenz vollbrachte die Twitter-Aktie das in der jüngeren Börsengeschichte ziemlich einmalige Kunststück, ein Kursplus von 6 Prozent aus dem regulären Handel und weiteren 11 Prozent aus dem nachbörslichen Handel nach Vorlage der Bilanz in ein krachendes Minus von 12 Prozent zu drehen. Von in der Spitze 40,50 Dollar rutschte die Aktie des 140-Zeichen-Dienstes binnen einer Stunde bis auf 32,40 Dollar in die Tiefe – neue Jahrestiefs inklusive.

Jack Dorsey über Twitters Entwicklung: „Wir sind nicht glücklich darüber“

Der Auslöser: „Brutal ehrliche“ Worte von Interims-CEO Jack Dorsey, die aus der Feder der härtesten Kritiker wohl kaum harscher formuliert worden wären. Dorsey gab bereits im vorbereiteten Pressestatement zu, „mit dem Nutzerwachstum nicht zufrieden zu sein“. In der anschließenden Analystenkonferenz wurde der 38-Jährige dann noch mal deutlicher: Es sei „inakzeptabel“, dass die Versuche, mit neuen Features neue Nutzer anzulocken, keine Wirkung zeigten. Und als sei das nicht genug, fügte Dorsey noch mal hinzu: „Wir sind nicht glücklich darüber.“

Doch damit hatte die Selbstkritik tatsächlich erst begonnen. „Einfach gesagt, das Produkt ist in der Nutzung zu kompliziert“, goss auch Finanzchef Anthony Noto Eiswasser über Anleger-Hoffnungen auf einen Turnaround.  Der werde schließlich noch „beträchtliche Zeit“ dauern, war vom Finanzchef zu hören.

Hat Dorseys Kapitulationserklärung vor Analysten Methode?

Es gibt kaum vergleichbare Fälle in der jüngere Börsengeschichte, in denen sich das Management vor Analysten dermaßen um Kopf und Kragen redete – und am Ende der halbstündigen Konferenz sportliche 5 Milliarden Dollar Börsenwert vernichtet hatte. Dorseys Auftritt in Hoodie und mit getrimmtem Bart war dermaßen apathisch, dass er wirkte wie eine Kapitulationserklärung. Twitter, der einstige Hoffnungsträger der Social Media-Welt, wirkte nach Dorseys und Notos Ausführungen wie ein schweres erziehbares Kind, wie ein hoffnungsloser Fall.

Möglicherweise jedoch hatte der extrem skurrile Auftritt Methode. Einiges erinnert an Apples Analystenkonferenzen im Krisenjahr 2013, als der damalige Finanzchef Peter Oppenheimer Aktionären „einen realistischeren Ausblick“ einschenkte – und Tim Cook im April bereits das gesamte Fiskaljahr abzuschreiben schien, indem er erklärte, neue Produkte gebe es erst im Herbst.

Jack Dorsey, der Yanis Varoufakis der Internet-Welt

Kaum anders klangen Notos und Dorseys Äußerungen, die so gnadenlos ernüchternd waren, als wollten sie einen Schlussstrich unter die jüngere Entwicklung ziehen. Die Botschaft an Aktionäre scheint zu lauten:  Ja, die Dinge laufen wirklich nicht gut bei uns, wir sehen mittelfristig keine Verbesserungsmöglichkeit, es wird ein langer Weg, sagt nicht, Ihr wurdet nicht gewarnt. Mit anderen Worten: Es scheint in diesen Tagen sehr wenige Argumente dafür zu geben, Twitter-Aktien zu halten – außer der vagen Hoffnung auf einen mittelfristigen Turnaround oder eine Übernahme oder beides.

Möglicherweise möchte Dorsey dieses Szenario der schlechtesten aller Welten aber auch bewusst erschaffen, um seinem Nachfolger den Amtsbeginn so leicht wie möglich zu machen. Die aktuelle Situation ist fürchterlich unbefriedigend bei Twitter; es kann also scheinbar nur besser werden. Dorsey demontiert sich selbst, um einen Neuanfang zu bereiten. Das mutet nicht ganz neu an: Der auf Twitter sehr aktive ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat es mit seinem Rücktritt vorgemacht.