Freie Marktwirtschaft um jeden Preis?

Man kann es kaum fassen. Wir gedenken in diesen Tagen der Reichspogrom-Nacht vom 9. November 1938, während ein amerikanisches Bezirksgericht im kalifornischen San Jose befindet, es sei legitim, dass das Internetportal Yahoo weiterhin Nazisymbole über seine Online-Auktionsplattform versteigert.

Das von einem französischen Richter ausgesprochene Versteigerungsverbot sei unwirksam und Yahoo ausreichend durch den ersten Verfassungszusatz geschützt, der den Amerikanern umfassende freie Meinungsäußerung garantiert, so berichtet die Zeitung „San Jose Mercury News“ in ihrer Onlineausgabe. Im Zweifelsfalle müsse die „gewaltlose Äußerung radikaler Ansichten“ erlaubt werden, begründete das kalifornische Gericht seine Entscheidung. Das sei besser als eine „beeinflusste Regulierung der freien Rede“.

Was für eine Doppelmoral. US-amerikanische TV-Sender sind derzeit angewiesen, keine Bin Laden Videos auszustrahlen, was völlig plausibel erscheint, da man davon ausgehen kann, dass das Gefahrenpotenzial den Informationswert dieser Nachrichten überwiegt. Da müssen sich die kalifornischen Richter die Frage gefallen lassen, wie in diesem Falle das Recht auf freie Meinungsäußerung zu verstehen ist. Zu argumentieren, das eine sei Historie, das andere in diesen Tagen aktuell, zieht nicht. Seit Jahrzehnten konnte das nationalsozialistische Gedankengut nicht ausgerottet werden. Ganz im Gegenteil: Es gewinnt an Fahrt, auch und gerade in Amerika. Man vermutet sogar, dass die Anschläge mit Milzbrand-Bakterien von Rechtsradikalen verübt wurden. Genauso wie Bin Ladens Gefolgsleute international per Internet vernetzt sind, agieren Hitlers Nachfolger mittlerweile weltweit und sind genauso „brandgefährlich“ wie eh und je. Auch das Argument, es würden im Internet nur Nazi-Symbole gehandelt, wäre eher schwach, denn diese Symbole stehen für zwölf grausame Jahre in Deutschland und der Welt mit Millionen von Toten.

Die Frage ist, muss jede Meinungsfreiheit akzeptiert werden, auch wenn sie die Gesellschaft droht zu zerstören? Hat der Vertrieb von Produkten und damit die freie Marktwirtschaft nicht auch Grenzen? In diesen Tagen haben wir immer wieder gefragt: Wird sich das Marketing nach dem 11. September verändern? Die Antwort lautet: Es muss. Extremismus, egal ob in Religion oder Politik, hat im Online- und Offline-Vertrieb nichts verloren. Marketing und Marktwirtschaft hat in erster Linie immer noch den Menschen und der Gesellschaft zu dienen und nicht umgekehrt. Dies scheint häufig in Vergessenheit zu geraten, wo das Spiel der freien Marktkräfte als das höchste Gut des Menschen angesehen wird. In den Fällen, wo menschheitsbedrohende Werte, in welcher Form auch immer vermittelt werden, tut sie das nicht mehr. Die Yahoo-Chefs sollten sich in diesem Sinne ihrer Verantwortung bewusst werden und die schändlichen Auktionen, die die Opfer des Nationalsozialismus geradezu verhöhnen, stoppen – ein besseres Marketing wäre es zudem obendrein.

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