„Sargnagel des Journalismus“: Otto Brenner Stiftung stellt erste große Studie zu Content Marketing vor

Content Marketing ist in den Dax-Konzernen angekommen – und gefährdet zunehmend den Journalismus, mahnt der Uni-Professor Lutz Frühbrodt in einer Studie in Zusammenarbeit mit der Otto-Brenner-Stiftung. Im Interview appelliert der Autor an Medien und Wirtschaft, ihre gesellschaftlichen Aufgaben und Wirkungen ernst zu nehmen.
Dr. Lutz Frühbrodt ist Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Universität Würzburg-Schweinfurt

In Ihrer Studie schreiben Sie, dass alle 30 Dax-Konzerne Content Marketing betreiben, allerdings mit unterschiedlichem Ausmaß. Wo fängt Content Marketing an und wo hört es auf?
Wo es aufhört, müssen die Unternehmen selbst entscheiden. Wo es anfängt, ist eine andere Sache. Meine Co-Autorin Annette Floren und ich haben festgelegt, dass man von einer erkennbaren Content-Marketing-Strategie reden kann, wenn ein Konzern mindestens zwei CM-Instrumente einsetzt. Das machen alle DAX-30-Unternehmen. Die meisten haben aber noch weit weit mehr am Start. Das ist der quantitative Aspekt. Der qualitative besteht in der genauen Eingrenzung dessen, was wir unter Content Marketing verstehen: Nach meinem Verständnis handelt es sich um quasi-journalistische Inhalte, die ausschließlich über eigene, überwiegend digitale Kanäle gesteuert werden, zum Beispiel über Online-Magazine, Blogs, Videos oder auch Apps. Quasi-journalistisch bedeutet: Inhalte, die nicht direkt werbend, sondern „werthaltig“ das Vertrauen potenzieller Kunden gewinnen sollen. Diese informierenden, beratenden oder unterhaltenden Inhalte kommen in ihrer äußeren Form wie journalistische Angebote daher, sind aber nicht unabhängig produziert, sondern eindeutig interessengeleitet.

Was ist dagegen einzuwenden, dass Unternehmen ihre (potenziellen) Kunden informieren, beraten oder unterhalten möchten?
Aus Unternehmenssicht ist dagegen ganz sicher nichts einzuwenden. Ich halte Content Marketing grundsätzlich für ein legitimes Werbekonzept. Unternehmen haben genau wie jeder einzelne Bürger das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das Problem ist ein anderes: Wenn Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung betonen und das nicht nur als wohlfeile PR-Phrase artikulieren, sollte ihnen auch die Entwicklung der öffentlichen Meinungsbildung am Herzen liegen. Diese wird nämlich auch dadurch mittelfristig massiv verändert, dass Unternehmen und teils auch schon Verbände mit ihren Content-Marketing-Angeboten en masse kostenlose Inhalte in einer Situation schaffen, in der klassische Medien versuchen, ein Bezahlmodell zu etablieren.

Inwiefern ist der Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung denn nachweisbar?
Zumindest einzelne Online-Magazine haben mehrere Millionen Besucher pro Monat, andere weniger, es mag auch regelrechte „Content-Friedhöfe“ geben. Dass es den Machern von Content Marketing auch um Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung geht, zeigen Aussagen des Branchenverbands Content Marketing Forum, mit den eigenen Angeboten die Meinungsvielfalt zu erhöhen. In der Wissenschaft hat es bisher noch keine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik des Content Marketing gegeben. Nach diesem „first shot“ muss ganz sicher nachgelegt werden. Dazu gehört auch, die Seite der Mediennutzer empirisch noch genauer zu erforschen.

Wieso ist es verkehrt, dass Unternehmen nicht nur mit Werbung, sondern auch mal mit Inhalt überzeugen wollen?
Das dürfen sie ja, die Frage ist nur wie. Content Marketing wird in unterschiedlicher Art und Weise durchgeführt. Einige wie die DAX-30 praktizieren es sehr offen, weil sie in der Regel starke Marken haben und ihr Image direkt stärken wollen. Sie zeigen klar, dass sie zum Beispiel hinter einem Online-Portal stehen. Oftmals wird die Transparenz aber auch verschleiert oder ist gar nicht vorhanden: Das beginnt damit, dass vielleicht nur das Logo der dahinter stehenden Firma gezeigt wird, und endet damit, dass der Nutzer sogar extra ins Impressum schauen muss und vielleicht dort noch nicht einmal fündig wird, weil dort nur die beauftragte Agentur genannt wird.

Auch der Nutzer steht doch in einer gewissen Verantwortung.
Klar, aber er bekommt deutlich mehr Verantwortung aufgebürdet, weil er zunehmend prüfen muss, ob das, was er da gerade angesteuert hat, unabhängig-neutral oder verkappt interessengeleitet ist. Wenn der Mediennutzer viele Ziele ansteuert, dann wird er auch nicht jedes Mal genau hinschauen. Genau das ist Kalkül einiger Unternehmen, die darauf hoffen, dass der Nutzer das Angebot als ernsthaftes journalistisches Angebot wahrnimmt, weil es äußerlich wie eines wirkt. Darauf setzt beispielsweise das Tech-Portal Curved.de, hinter dem der Mobilfunkkonzern E-Plus beziehungsweise Telefónica steht. Gewisse Grenzen werden auch überschritten bei Portalen wie Gesundheit.de, hinter dem sich ein Pharmagroßhändler verbirgt. Beide agieren „unter Tarnkappe“. Diese Versuche, den Journalismus auf seine äußere Form zu reduzieren und damit umzudeuten, halte ich für nicht legitim und hoch problematisch.

Wie genau lautet denn der Auftrag des Content Marketings: Geht es um den Verkauf eines Produktes oder um Imagebildung?
Mittelbar ist immer der Produktverkauf das Ziel. Content Marketing dient als Ergänzung der Werbung. Sein Leitspruch heißt: “Dont talk about products, talk around products”. In der Theorie verfolgt das Content Marketing die Philosophie, dass Produkte gar nicht konkret angesprochen werden. In der Praxis sieht es oft ganz anders aus: In den Texten finden sich oft Links zu konkreten Produkten, im Umfeld werden Eigenanzeigen ausgespielt. Natürlich geht es im Content Marketing auch darum, bestimmte Botschaften oder Werte zu vermitteln. Das geschieht indirekt wie auch sehr direkt. Es geht sogar so weit, dass sich Unternehmen auch zu einzelnen politischen Themen äußern wie etwa zur Asylpolitik.

Wird hier durch eine Hintertür öffentlicher Lobbyismus betrieben?
Es geht meines Erachtens noch nicht so weit, dass Unternehmen durch die Hintertür in die politische Berichterstattung einsteigen. Aber man sollte durchaus frühzeitig vor der Gefahr warnen, sollte es immer mehr dieser Fingerübungen geben. In anderen Segmenten wie Lifestyle oder Sportartikel sind Unternehmen wie Schwarzkopf oder Adidas schon sehr fortgeschrittene Content-Lieferanten. Gepredigter Materialismus kann auch eine politische Dimension haben. In der gesamten Thematik „Wie lässt sich die bewährte öffentliche Meinungsbildung sichern?“ ist meines Erachtens auch die Politik gefragt.

Wieso die Politik?
Wir beobachten, dass sich Geschäftsmodelle massiv ändern. Klassischer Journalismus wird auf der einen Seite werblicher oder sieht sich zumindest verstärkt Werbeeinflüssen ausgesetzt. Medienunternehmen rücken von ihren bisherigen Geschäften immer weiter ab, investieren in nicht mehr Content-getriebene Start-ups. Im Content Marketing gibt es wiederum den Leitsatz “Marken müssen zu Medien werden”. Red Bull hat das mustergültig vorexerziert, andere Unternehmen werden folgen, wenn wahrscheinlich auch nicht ganz so radikal. Es findet hier also eine Angleichung zwischen Medienhäusern und „normalen“ Unternehmen statt. Diese Konvergenz führt dazu, dass nicht mehr deutlich sein wird, welche Medienmarke glaubwürdig ist und welche nicht. Das kann nicht im Interesse einer Demokratie sein. Die Medienpolitik ist deshalb gehalten, dem klassischen Journalismus endlich den Rücken zu stärken – nicht nur mit freundlichen Absichtserklärungen.

Mit Blick auf die Redaktionen: Wenn sich durch das Content Marketing die werbungtreibende Wirtschaft auf eigene Portale zurückzieht, sinkt dann im Gegenzug nicht der Werbeeinfluss, dem Redaktionen ausgesetzt sind?
Die Vermutung kann man sicher anstellen. Es schließt sich aber eine Gegenfrage an: Wie finanzieren sich die klassischen, werbefinanzierten Portale dann? Diese Frage würde nicht so schwer ins Gewicht fallen, wenn sich Medienhäuser eher um Bezahlmodelle gekümmert hätten. So haben sie jetzt Probleme sowohl auf der Werbe- als auch auf der Vertriebsseite.

Lässt sich dies als Nebeneffekt des Content Marketings beschreiben oder zielen Unternehmen vielleicht darauf ab, klassische Medien zu verdrängen?
Gewiss lässt sich hier nicht pauschalisieren. Aber ganz vom Tisch wischen will ich nicht, dass der Gedanke in der einen oder anderen Konzernzentrale hochpoppt „Weniger Macht der klassischen – kritischen – Medien bedeutet mehr Einfluss für unsere eigenen Medien. Und die sind verdammt freundlich zu uns!“. Da sind wir wieder beim Gedanken der gesellschaftlichen Verantwortung: Die Unternehmen sind sich sicherlich bewusst darüber, was sie tun, und können nicht einfach darauf hinweisen, dass die Medienbranche selbst Schuld an der Suppe ist, die sie nun auslöffeln muss.

Wenn Content Marketing als so eine Bedrohung gesehen wird, machen sie offenbar etwas besser als übliche Portale. Was ist das?
Eine ziemlich große Lücke tut sich durch den schwächelnden Journalismus auf. Zum Teil sind das konzeptionelle Schwächen, zum Teil aber auch Schwächen, die Folge mangelnder Ressourcen sind. Content-Marketing-Publisher müssen sich beispielsweise weniger Gedanken über finanzielle Mittel machen. Werden Mittel gebraucht, können sie freigemacht werden. Diesen Luxus hat der Journalismus nicht mehr. Zusätzlich arbeitet Content Marketing auch viel stärker mit Storytelling und Emotionalisierung, was viele Nutzer stärker anspricht. Das sehen Sie am Beispiel von Curved.de, wo Nutzer mit ihren Votings klar ausdrücken können, was sie von dem besprochenen Produkt halten. Und Curved.de versieht sie dann mit Tags wie “Weg damit!” oder “Her damit!”.

Verlage reagieren auf die Entwicklung zum Teil damit, dass sie sich Content Marketing einverleiben. Gruner + Jahr oder Burda haben eigene Geschäftsbereiche hochgezogen, die für die Wirtschaft arbeiten. Wie beurteilen Sie diese Strategie?
Corporate-Publishing-Units gibt es bei einer Vielzahl von Medienhäusern schon länger. Bislang liefen diese Geschäftsbereiche immer neben dem Kerngeschäft. Die aktuellen Entwicklungen – dass Burda C3 gekauft oder Gruner + Jahr Territory gegründet und auch Springer extra Corporate Solutions ins Leben gerufen hat – zeigen eher eine Expansion zu einem wesentlichen Geschäftsfeld. Das Management muss sich deshalb immer mehr fragen: Welches Selbstverständnis hat mein Medienunternehmen? Geht es in erster Linie um Rendite, ist die Expansion eine mögliche Strategie. Auf der anderen Seite muss man sich gut überlegen, was dann mit den eigenen journalistischen Angeboten geschieht. Setzt man wie Burda auf eher populäre Kost, läuft man Gefahr, sich dadurch eigene Konkurrenz hochzupäppeln. Ich halte das für ein gefährliches Spiel, bei dem Verlage einen Nagel in den Sarg mit einschlagen, auf dem Journalismus steht.

Ist für Redaktionen Native Advertising ein Weg, weiterhin ein Stück vom Werbekuchen abzubekommen?
Native Advertising beschreibt ein sich nur schwer auflösendes Dilemma. Die Idee dahinter besteht ja darin, dass der Mediennutzer die Anzeige auf den ersten Blick gar nicht erkennt, sondern sie für ein redaktionelles Format hält. Je deutlicher „Anzeige“ über dem Text steht, desto leichter ist sie erkennbar und somit für den Nutzer irrelevant. Er liest den Text also nicht. Umgekehrt fühlt er sich hinters Licht geführt, wenn er dahinter kommt, dass er gerade etwas gelesen hat, das Werbung ist, als solche aber nicht klar ausgewiesen ist. Das beschädigt die Glaubwürdigkeit und damit die Medienmarke . Die einzige nachhaltige Strategie kann deshalb nur sein, dass die Verlagshäuser ihre Publikationen so unabhängig-journalistisch wie möglich halten. Das ist der USP, den man immer im Blick haben muss.

Sehen Sie, dass Journalismus ein Subventionsgeschäft wird, auf das Medienunternehmen irgendwann sogar verzichten könnten?
Im Moment sagen die Größenverhältnisse innerhalb der Häuser noch etwas anderes. Auf der anderen Seite erkennt man beispielsweise an Axel Springer, dass man sich von auf Dauer unrentablen Journalismus-Bereichen trennt, nur noch wenige, starke Marken hält und seine finanziellen Mittel in andere Felder investiert. Solche „Schlankheitskuren“ sind erste Anzeichen für eine Entwicklung, die auch noch zahlreiche andere Unternehmen durchlaufen werden.

Content Marketing wird nicht mehr als Trend, sondern als fester Bestandteil der Medienindustrie gehandelt. Sie fordern – ähnlich wie ihn Redaktionen haben – einen Kodex. Wie sollte dieser aussehen?
Ich plädiere für einen speziell zugeschnittenen Kodex, wie es ihn auch für PR-Schaffende gibt. Leider ist dieser nur 50 Prozent der Adressaten bekannt. Man sollte also von vornherein mehr PR für den neuen Content-Marketing-Kodex machen. Ich halte den PR-Kodex trotzdem für wichtig, weil er einen ethischen Leitfaden an die Hand gibt. Der CM-Kodex sollte festschreiben, wie Content Marketing kenntlich gemacht wird. Transparenz wird immer betont – auch von Medienunternehmen. Dann sollte eine Richtlinie, die Firma und Logo deutlich erkennbar im Domainnamen und auf der Homepage vorsieht, kein Problem sein. Darüber hinaus sollten Links zu Shops und Eigenanzeigen untersagt werden. Dass manche Medienmenschen glauben, dass Kodizes ein Anachronismus des 20. Jahrhunderts seien, halte ich für anachronistisches Denken. Ein Kodex zieht zwar keine Sanktionen nach sich, regt aber immer wieder eine Debatte an, wie wir ja anhand des Pressekodex sehen. Er ist eine Art Kontrollinstanz, der sich neuerdings ja auch journalistische Online-Medien unterordnen.

Lutz Frühbrodt ist Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. In seiner OBS-Studie „Wie ‚Unternehmensjournalisten‘ die öffentliche Meinung beeinflussen“ beschäftigt sich der gelernte Journalist (u.a. Deutschlandradio und Die Welt) mit der Entwicklung des Content Marketings in Unternehmen und den Gefahren für unabhängigen Journalismus. 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf meedia.de.