Dynamic Pricing: Kein Wert für alle

Mithilfe von Big Data und Algorithmen können Händler ihre Preise heute in Echtzeit anpassen. Verbraucherschützern geht das mitunter zu weit. Und Unternehmen müssen sich der Frage stellen: Was ist mein Produkt noch wert, wenn der Preis austauschbar wird?

Dabei handelt es sich dabei oft gar nicht um kundenindividuelle Daten. Blue Yonder erhebe ausschließlich Informationen, die vom Konsumenten unabhängige Informationen liefern: Welches Produkt wurde zu welchem Zeitpunkt wo und in Verbindung mit welchen Waren gekauft? Daraus lassen sich Absatzprognosen abhängig vom Wetter, von der Uhr- und Tageszeit oder der Wettbewerbssituation erstellen, durch die Preisanpassungen viel genauer vorgenommen werden können, so Feindt. Doch wie gerecht ist es, einer alleinerziehenden Mutter mit Zeitdruck die Kleider am Samstagnachmittag teurer zu verkaufen als dem kinderlosen Paar im Doppelverdienerhaushalt, das sich die Zeit für Preisvergleiche viel eher nehmen kann? Feindt winkt ab: „Am Ende geht es um Preisanpassungen von wenigen Cent. Für die Kunden häufig nicht entscheidend, aber für den Hersteller oder Händler macht das viel aus.“

Verbraucherschützer fordern eine „Algorithmus-Ethik“

Trotzdem: Das Gefühl wachsender Hilflosigkeit der Konsumenten bleibt. Der im Bundesjustizministerium angesiedelte Sachverständigenrat für Verbraucherschutz forderte in einem Bericht daher unlängst eine „Algorithmus-Ethik“, die Händler zu mehr Transparenz in der Preisgestaltung anhält.

Nicht alle halten diese Forderung für zielgerichtet. Raimund Bau, Gründer und Geschäftsführer des Berliner Start-ups SO1, ist einer von ihnen. Er halte Händler zwar dazu an, ihre Konsumenten über die Geschäftspolitik zu informieren, sagt aber auch: „In dieser Forderung steckt eine gewisse Naivität, ein Missverständnis in Kombination mit gefährlichem Halbwissen.“

SO1 bietet eine Technologieplattform, die stationären Händlern kundenindividuelle Preisaktionen vor Ort ermöglicht. Das prominenteste Beispiel ist die Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann: Über eine Kundenkarte können Konsumenten ihr Einkaufsverhalten speichern und bekommen bei jedem Besuch individuelle Rabatte angeboten. Ein Algorithmus ermittelt aus allgemeinen Daten der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) und den persönlichen Kaufgewohnheiten des Kunden Entscheidungswahrscheinlichkeiten – von dem Kauf des einen Produkts könne dabei auf ein Interesse an anderen Produkten geschlossen werden, so Bau. Händler und Marken sollen so den Absatz bestimmter Produkte oder Kampagnen gezielter steuern können.

Die Offenlegung der Algorithmus-Parameter aber sei unmöglich, sagt Bau: „Sogenannte Deep-Learning-Algorithmen kreieren aus den Daten, die wir ihnen geben, Aggregationen und Erkenntnisse. Menschen können das nicht einfach lesen wie die klassischen Modelle der Statistik. Wir können nur beobachten, dass es funktioniert.“ Und zwar so gut, dass SO1 bis Ende des Jahres mit dem 16-Fachen an Nutzern rechnet: Aktuell sind es 250 000, rund vier Millionen sollen es aufgrund bereits abgeschlossener Kooperationsverträge mit einer Reihe deutscher Einzelhändler werden.

Das Wichtigste dabei: Alle Daten werden vollkommen anonym verwertet. Im Gegensatz zu vielen anderen Kundenkarten sind sie nicht mit Geburtsdaten, Namen oder Adressen gekoppelt. Im System landet lediglich eine beliebig festgelegte Kundennummer, die zu den Informationen auf dem Kassenbon in Bezug gesetzt wird. Die Stiftung Warentest beurteilte die von Kaiser’s Tengelmann eingesetzte „Extrakarte“ daher im Juli vergangenen Jahres als ungefährlich.

Das mag auch daran liegen, dass Preise über das System von SO1 niemals herauf-, sondern ausschließlich heruntergesetzt werden. Das, so Gründer Bau, sei auch die Antwort von S01 auf die zunehmende Intransparenz: „Es gibt nach wie vor einen Regalpreis, der sich für den Kunden ausschließlich verbessern kann. Alles andere wäre unfair.“

Welche Preisstrategien Konsumenten als „fair“ wahrnehmen, unterscheidet sich mitunter. Eine Befragung von Amazon-Kunden durch die Beratungsagentur Exeo Strategic Consulting fand heraus, dass dynamische Preisgestaltung per se kein Tabubruch sein muss: Gerade zeitliche Anpassungen werden von Konsumenten weitestgehend akzeptiert.