Dynamic Pricing: Kein Wert für alle

Mithilfe von Big Data und Algorithmen können Händler ihre Preise heute in Echtzeit anpassen. Verbraucherschützern geht das mitunter zu weit. Und Unternehmen müssen sich der Frage stellen: Was ist mein Produkt noch wert, wenn der Preis austauschbar wird?

In einer freien Marktwirtschaft ist der Handel in seiner Preisgestaltung frei

Für Verbraucherschützer ist der Schritt zur Cisco-Zukunft indes nicht mehr weit – im Netz ist sie längst Wirklichkeit. Die Vision gleicht für sie einer Dystopie: Anstelle des Staates wie im Romanklassiker „1984“ verfolgen Computerprogramme jeden Schritt des Konsumenten, um aus ihm bestmöglichen Profit zu schlagen.

Mittlerweile hat das Thema auch die Politik erreicht. Im Februar erst sagte der nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Johannes Remmel der ungleichen Preisgestaltung den Kampf an. Über Twitter teilte er mit: „Wenn der Wohnort oder das Tablet-Modell darüber entscheiden, ob ich einen Preisaufschlag zahlen muss oder ein Produkt gar nicht erst erhalte, dann ist das eine diskriminierende Preispolitik.“

Ganz so einfach ist es nicht. Rechtlich gesehen ist der Händler in seiner Preisgestaltung frei – das fordert die freie Marktwirtschaft. Diskriminierungsverbote umfassen unmittelbar nur Kriterien wie Rasse, Herkunft, Geschlecht oder Alter (zu rechtlichen Bedingungen siehe Kasten auf Seite 31). Die Marke des Endgeräts zur Preiskalkulation ist also per se nicht verboten. Abgesehen von mittelbaren Diskriminierungsgefahren rüttelt diese Praxis jedoch vor allem am Vertrauen in die Händler selbst: Je freimütiger diese mit ihrer Macht umgehen, desto ausgelieferter fühlen sich Konsumenten.

Dabei schütze Dynamic Pricing die Macht des Verbrauchers eher, als dass es sie anficht, meint zumindest Michael Feindt. Der Physiker ist Gründer und Chef des Technologiedienstleisters Blue Yonder, der jeweils zu einem Drittel ihm, dem Handelskonzern Otto und der US-amerikanischen Private-Equity-Firma Warburg Pincus gehört.

Feindt hat für Blue Yonder einen Algorithmus entwickelt, der Daten von Händlern sammelt und daraus Vorhersagen für die Zukunft trifft. Durch sogenannte „Predictive Analytics“ ließen sich Lagerbestände und Preise optimieren, sagt der 57-Jährige. Für den Handel sei das essentiell, damit er konkurrenzfähig bleibe – und überlebt. Und das nutze letztlich auch dem Konsumenten, weil es die Vielfalt des Angebots sichert: „Durch die zunehmende Preisschlacht kannibalisiert sich der Handel irgendwann selbst. Eine kundenorientierte Preisgestaltung hilft nicht nur bei der Optimierung des Umsatzes, sie hilft auch dem Kunden, weil damit der Wettbewerb erhalten bleiben“, sagt Feindt.

Zu den Kunden von Blue Yonder gehören neben Versandhändlern wie Otto bereits stationäre Anbieter wie dm, Sportscheck, Kaufland und Kaiser’s Tengelmann. Allerdings nutzen diese Feindts System zur Absatzvorhersage, nicht zur dynamischen Preisgestaltung. Bei diesem Thema halten sich noch einige zurück, sagt Feindt, auch weil das Thema bei Konsumenten eher zu Misstrauen führt.