„Digitale Transformation? Fangt an, probiert, passt an. Aber wartet nicht“

Die Zeiten alten Marketings sind vorbei. Wir wissen immer mehr über unsere Kunden, das macht es einfacher, auf sie einzugehen – und die Wirksamkeit von Marketing zu messen. Dass das keineswegs die Kreativität killt, sondern im Gegenteil neue Möglichkeiten schafft, Marketer sogar stärkt, das sagt John Travis, Vice President of Marketing for EMEA bei Adobe, im Interview.
John Travis, Vice President of Marketing for EMEA bei Adobe. (© Adobe)

„Es ist jetzt eine tolle Zeit, Marketer zu sein“ – so brachte John Travis beim Digital Marketing Symposion 2014 in Singapur auf den Punkt, wie er die Möglichkeiten neuer Technologien sieht. Der ausgebildete Politikwissenschaftler ist zuständig für die strategische und operative Weiterentwicklung und das Management der Marke Adobe und seiner Marketingkampagnen. Travis kam von Intel zu Adobe, zuvor hatte er bereits 17 Jahre Marketingpraxis auf internationalem Level gesammelt. Bei Intel verantwortete er unter anderem global erfolgreiche Kampagnen für „Intel inside“ und „Pentium“.

Daten, Fakten, Ergebnisse sind die zentrale Währung der digitalen Transformation. Wird das Marketing von einer Welt des Kreativen zu einer Welt der Controller?

JOHN TRAVIS: Meine persönliche Philosophie und auch die von Adobe ist, dass Kreativität und Instinkt das eigentliche Fundament von Marketing bilden, weil es im Marketing vor allem darum geht, Menschen zu verbinden und mit ihnen zu kommunizieren, sowohl auf einer emotionalen als auch einer ganz praktischen Ebene. Selbst mit den besten Tools und den besten Daten wird sich das niemals ändern. Es kommt auf die emotionale Verbindung an, die sie mit Ihrem Kunden schaffen rund um ihre Marke. Was wir aber herausgefunden haben, ist, dass es Marketer schon lange umtreibt: Wie kann ich meinen Wert, meinen Nutzen nachweisen? Eigentlich ist das schon seit 25 Jahren die Herausforderung, aber wir hatten bisher nie ein Werkzeug, um wirklich nachzusehen und zu belegen: Das, was wir tun, funktioniert! Es blieb nichts als zu appellieren: Vertrau meinem Instinkt, vertrau meiner Kreativität!

Die neuen Tools schaffen also eher neue Chancen?

TRAVIS: Ja, denn jetzt gibt es die Daten und die Analyse-Instrumente, mit denen kann ich zu meinem CEO gehen und zeigen, was ich getan habe und belegen, wie etwas läuft. Diese Daten sind extrem aussagekräftig, bringen lohnende Erkenntnisse. Das macht Marketer wirklich stark. Es verschafft ihnen einen guten Platz am Vorstandstisch, denn wir wissen inzwischen so viel über unsere Kunden, wir können sehen, wie sie sich verhalten, was sie glauben. Das hat die strategische Bedeutung von Marketing dramatisch wachsen lassen. Und mehr und mehr Marketer, mit denen ich spreche, haben das ebenfalls entdeckt.

Was heißt das für die Marketing-Praxis?

TRAVIS: Gehen wir mal zurück zu alten Zeiten, früheren Kampagnen. Etwa zu einer großen TV-Kampagne. Da haben Sie drei bis sechs Monate damit verbracht, das Ganze zu planen, sicherzustellen, dass alles perfekt sitzt. Sie begleiten die mit Printanzeigen, launchen die Kampagne – und warten erst einmal. Drei bis vier Monate. Bis der Researcher Ihnen Ergebnisse liefert, wie die Aktion lief. Was die Kreativität daran betrifft: Sie haben wundervolle, kreative Dinge getan, aber hatten Sie sie getan, war es das eben auch. Die Test-Elemente von heute ermöglichen viel mehr. Mancher mag fürchten, dass Daten die Kreativität killen. Ich sehe das nicht so. Ich kann viele unterschiedliche Ideen durchspielen, ich kann Dinge ausprobieren, und ich kann sie austauschen, selbst über Nacht. So bin ich doch viel eher bereit, mich auf neue Dinge einzulassen. Und ich bekomme Feedback. Unmittelbar. Sobald ich etwas auf die Website stelle, ein Video veröffentliche, etwas in den sozialen Medien poste, gibt es eine Reaktion. Das erlaubt es uns doch allen, noch kreativer zu sein.

Ist das denn schon Allgemeingut?

TRAVIS: So, wie die Marketer spüren, dass sie profitieren, so sehen das auch immer mehr Kreative. Die CannesLions, der größte Kreativwettbewerb der Werbewelt, bei dem ich gerade war, sind ein Beispiel. Da gibt es inzwischen den Creative Effectiveness Award, die Ergebnisse kreativer Arbeit werden also inzwischen ebenso gefeiert wie die Arbeit selbst.

Wirken sich die neuen Erkenntnisse und neuen Verfahren auch auf die Zusammenarbeit im Unternehmen aus?

TRAVIS: Für den Kunden gibt es zwischen Marketing und Produkterfahrung ja keine große Trennung, es ist immer die Marke, mit der er in Verbindung steht. Und mit der steht er im Zweifel ständig in Verbindung, an vielen Orten, mit vielen Geräten, zu jeder Zeit. Da hat sich dramatisch etwas geändert. Und das wird auch die Art und Weise ändern, wie wir innerhalb des Unternehmens kommunizieren. Bisher war Marketing oft im eigenen Silo gefangen, verantwortlich für PR oder Anzeigenschaltung. Jetzt geht die Entwicklung aber weg von der früheren kampagnenzentrierten Struktur hin zu einem kontinuierlichen, Woche für Woche neu zu regelnden Marketingprozess.
Bei Adobe zum Beispiel haben wir jeden Montag ein Meeting mit einem abteilungsübergreifenden Team. Da sitzen das Marketing, der E-Commerce, das Produktmanagement, die IT und besprechen die Daten der vergangenen Woche: Wie lief der Business, was lief gut, wo müssen wir nachstellen? Obwohl jeder dieser Stakeholder im Unternehmen eigene Vorgaben hat, die unabhängig von den anderen sind, haben sich alle zu einer einheitlichen Matrix von Zielen verpflichtet. Geht es um die fundamentalen Elemente unseres Geschäfts, wie viele Abteilungen wollen wir einsetzen, wieviel Websitetraffic wollen wir erzeugen und so weiter, sind wir letztlich alle verantwortlich. Da hat sich etwas verändert. Ich greife da gern auf einen Scherz zurück: Ich habe mit unserer IT im letzten Jahr öfter zusammengesessen als in den vier Jahren davor.

Das sieht ja sehr nach Folgen für die Personalstruktur aus …

TRAVIS: Wir müssen Analysten anwerben, Suchmaschinenprofis, Datenbank-Manager, wir brauchen mehr unterschiedliche Kenntnisse als jemals zuvor. Die müssen aber zusammenwirken können. Beispiel Datenlandschaft. Bisher hat jeder ein spezifisches Set an Daten in die Diskussion eingebracht, das passte nicht immer zusammen. Das lösen wir mit unserer „Single Source of Truth“, wie wir das nennen. Bei Adobe kümmert sich eine spezielle Gruppe darum, die MIO, Marketing Insights and Operation, sie verwaltet alle Daten, sie stellt die Dashboards zusammen und sie veröffentlicht die Ergebnisse.

Also einfach neue Leute einstellen, Organisation verändern, dann klappt es?

TRAVIS: Es geht vor allem darum, auch wirklich etwas zum Beispiel mit den vielen neuen Daten anzufangen, denn perfekt wird ein Modell nie sein. Die digitale Welt verändert sich so schnell, dass Sie nie ankommen würden, wenn Sie warten, bis ein Prozess exakt austariert ist. Sie können ja eine Idee immer noch ändern, wenn sie angelaufen ist, Sie verfolgen sie ja kontinuierlich. Das sage ich meinen Marketing-Kollegen draußen auch immer wieder: Fangt an, probiert, passt an. Aber wartet nicht.

Wenn es möglich ist, die Verbindung zum Kunden auf allen Ebenen und über alle Kanäle und Geräte zu halten und zu intensivieren, werden das sicher bald viele tun. Sorgt das nicht für eine Überfrachtung der Kunden, für die die vielen Inputs dann zum ignorierten Grundrauschen werden wie die TV-Werbung?

TRAVIS: Da müssen Marketer in der Tat aufpassen. Aber ich sehe die Gefahr trotzdem nicht. Nehmen wir das Beispiel Mobile und Sie als Photoshop-Nutzer. In den meisten Fällen kenne ich vermutlich den besten Weg, um Sie zu erreichen. Und ich weiß, sagen wir mal, für ganz bestimmte Konsumenten, dass ich ihnen vielleicht gar kein Marketingmaterial auf Ihr Smartphone schicken soll. Ich habe Daten und Erkenntnisse über Kundenverhalten, aber immer mehr Kunden sagen mir auch, welche Kanäle sie bevorzugen. Digitale Transformation im Marketing heißt, dass ich nun in der Lage bin, für jeden Kunden ein wirklich personalisiertes Kundenerlebnis zu liefern. Marketer, die sich nicht anstrengen, das zu erreichen, werden ins Hintertreffen geraten.

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