Digitale Fachkräfte gewinnen: „Entscheidend ist der Führungsansatz“

Wer digitale Fachkräfte sucht, muss sich gut verkaufen können, sagt Constanze Buchheim. Die Geschäftsführerin des Berliner Start-ups i-potentials hat sich auf die Rekrutierung von Mitarbeitern in der digitalen Wirtschaft spezialisiert. Im Gespräch erklärt Buchheim, warum sich Unternehmen oft selbst im Weg stehen und wieso es lohnt, sich für die englische Sprache zu öffnen.
Constanze Buchheim spricht über Digital-Start-ups, traditionelle Unternehmen und Fachkräftemangel

Frau Buchheim, die Digitalisierung schafft neue Berufsbilder und Stellen, der Bedarf an IT-Spezialisten wuchs allein 2014 in Deutschland um fünf Prozent. Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen heute, wenn es um den digitalen Fachkräftenachwuchs geht?

Im digitalen Bereich werden Talente auf allen Ebenen gesucht. Man kann hier wirklich von einer regelrechten Nachfrageexplosion sprechen, da nicht nur die Anzahl der Digital-Start-ups wächst, sondern auch etablierte Unternehmen mit der konsequenten Digitalisierung angefangen haben. Diese Unternehmen buhlen alle um dieselben Köpfe.

Gleichzeitig gibt es kaum Ausbildungsformate, die den schnellen Entwicklungen im Digitalbereich gerecht werden, so dass wir darauf angewiesen sind, in den Unternehmen auszubilden. Damit entsteht ein wildes gegenseitiges Abwerben innerhalb der Digitalwirtschaft, das die Notwendigkeit für Investitionen in die Bindung von Mitarbeitern dramatisch erhöht.

Laut einem Bitkom-Bericht gibt es hierzulande mehr als 41.000 offene Stellen, Unternehmen weltweit berichtet gar von einem „Digital Talent Gap.“ Sie sagen, der Fachkräftemangel im Digital liege unter anderem daran, dass Unternehmen nicht wissen, wie sie die neue Generation ansprechen sollen. Was machen sie falsch?

Um sie für das Unternehmen gewinnen zu können, müssen Personalverantwortliche und Manager wegkommen von dem Denken, Bewerbungen generieren zu wollen, die von Personalreferenten administriert werden. Es ist wie im Sales: Wer Kunden möchte, muss sie erreichen und von sich überzeugen. Sie kommen wirklich nur selten von allein und nur dann, wenn die Marke ausgezeichnet ist.

Wie finde ich denn den passenden „Kunden“?

Das Problem ist oft: Gerade Unternehmen, die gezwungen sind zu digitalisieren, verfügen häufig über wenig digitale Expertise und können kaum klar definieren, wen sie eigentlich suchen. Auf wen aber zugehen, wenn man nicht weiß, wer der oder die Richtige ist? Dafür brauchen wir sympathische ‚Hunter’, die die Kandidatinnen und Kandidaten dort ansprechen, wo sie sich aufhalten. Das müsste sich auch in den Teams widerspiegeln, tut es aber nicht.

Sie selbst haben 2006 die Personalabteilung beim Leipziger Start-up Spreadshirt aufgebaut. Welche Erfahrung haben Sie dort gemacht?

Wir mussten damals feststellen, dass es weder HR-Manager noch Personalberatungen und Dienstleister gab, die Digitalunternehmen wirklich verstanden. Die vorhandenen Anbieter hatten weder ein Gespür für die digitalen Funktionen, noch für die Strukturbegrenzungen eines schnell wachsenden, internationalen Start-ups, noch verstanden sie die besondere Kultur des Digitalbereiches. Daher konnten wir die wenigsten Dinge an Externe übergeben. So entstand damals auch die Idee zur Gründung von i-potentials.

Was haben Sie anders gemacht, als traditionellere Unternehmen?

Da ich gleichzeitig Assistentin des Gründers und Vorstandsvorsitzenden war, hatte ich Zugang zu allen relevanten strategischen Informationen und konnte die HR bei Spreadshirt dadurch strategisch ausrichten und auf die Notwendigkeiten des Unternehmens fokussieren. Diese Möglichkeit fehlt den meisten HR-Verantwortlichen anderer Unternehmen. So driften sie schnell in die reine Administrationsfunktion und leider auch die vermeintliche Bedeutungslosigkeit ab – eine Rolle, die der Bedeutung des HR-Bereiches nicht gerecht wird. Denn das war eine der wichtigsten Erfahrungen damals: Es hing maßgeblich von uns ab, ob wir verstehen, wen wir brauchen, die Richtigen für die Umsetzung der Strategie an Bord holen können und das noch sehr junge Management-Team so ausbilden können, dass sich starke Teams in den Abteilungen formieren konnten.

Was will die neue Generation der digitalen Fachkräfte?

Der Generation Y sind nach meiner Beobachtung vor allem zwei Dinge im Job wichtig: partnerschaftliche Beziehungen, in denen auf Augenhöhe kommuniziert wird und die Optimierung ihrer Lebenszeit. Vor diesem Hintergrund werden Werte und soziale Beziehungen sehr wichtig. Insbesondere das Konzept von Arbeit ändert sich: Arbeit dient ihnen nicht mehr zur Existenzsicherung oder der Maximierung des eigenen Wohlstands, sondern ist ein Mittel zur Selbstverwirklichung.

Wie können oder müssen Unternehmen auf diese Anforderungen reagieren?

Unternehmen brauchen wertebasierte Ziele, die Mitarbeiter motivieren können, weil sie an deren positiven Zweck glauben. Der Mitarbeiter wird dabei nicht als Ressource oder Mittel zum Zweck betrachtet, sondern ist Partner auf dem Weg zum gemeinsamen Ergebnis. Manager und Mitarbeiter arbeiten in diesem Konstrukt auf Augenhöhe miteinander statt füreinander. Der Arbeitsplatz wird in diesem Ansatz zum Ort, an dem man sich wohlfühlen sollte – nicht zum kühlen, effizienzoptimierten Bürostuhl.

Entscheidend für die Attraktivität ist dabei der Führungsansatz: Während in den meisten Unternehmen noch hierarchische Beziehungen gepflegt werden und sich diese Hierarchie dann auch in der Interaktion mit dem Bewerber zeigt, erwarten Mitarbeiter im digitalen Zeitalter Interaktion auf Augenhöhe. Diesen Schritt sind die wenigsten Unternehmen bereit zu gehen.

Wo erreicht man digitale Fachkräfte am besten?

Die wichtigsten Tools, um digitale Fachkräfte anzusprechen, sind sicher Xing und Linkedin, denn mittlerweile verfügt fast jeder über mindestens eines dieser beruflich orientierten Onlineprofile. Ansonsten Sammelns sich digitale Fachkräfte genauso wenig an einem bestimmten Punkt wie andere Spezialisten. Natürlich sind sie eher online zu finden, aber dort wiederum so breit verstreut, dass man nicht sagen, kann, dass es bestimmte Anlaufstellen gibt. Wichtig ist es daher, gesuchte Profile klar zu definieren und darauf basierend die Medien oder Netzwerke zu nutzen, die von der jeweiligen Spezialistengruppe auch genutzt werden.

Was ist mit Fachkräften aus dem Ausland? Wie komme ich an die ran?

Am leichtesten sind Fachkräfte – auch weltweit – über Netzwerke bzw. gemeinsame Netzwerkkontakte und die damit verbundene Direktansprache zu erreichen. An sich beobachten wir aber gerade in Metropolen wie Berlin eine hohe Zuwanderung an Top-Experten aus dem Ausland.

Das Problem liegt hier vor allem darin, dass die wenigsten Unternehmen in Deutschland in Englisch dokumentieren und nicht alle im Team gutes Englisch sprechen. Wenn sich Unternehmen hier umorientieren und öffnen, dies klar kommunizieren und sich zusätzlich an die Stellen wenden, die Anlaufpunkt für Internationale in Deutschland sind, lassen sich sehr schnell internationale Top Talente in die Unternehmen holen. Und für das eigene Recruiting so ganz neue Wege zu Spezialisten finden.