Die „unbewussten Botschaften“ der Wahlplakate

Für die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am 27. März haben die Parteien in den vergangenen Wochen und Monaten alle Kräfte mobilisiert, um die Wähler durch gezielte Plakatkampagnen für sich zu gewinnen. Doch welche Botschaften der Wahlplakate erzielen tatsächlich eine Wirkung? Die Neuromarketing-Experten der Agentur „Red pepper“ analysierten dazu die Plakate von CDU, SPD, FDP, den Grünen und der Linken zum Thema Bildung und untersuchten sie auf ihre implizite Wirkung hin. Dabei sei Überraschendes deutlich geworden: Während die Kampagnen auf der expliziten, bewussten Ebene fast deckungsgleich seien, zeigten sie hinsichtlich der unbewussten Botschaften deutliche Unterschiede.

Die Ergebnisse der Studie, die hier nur für Baden-Württemberg vorgestellt werden, zeigen, dass bei der Konzeption und Gestaltung der Wahlkampagnen meist etwas sehr Wichtiges außer Acht gelassen wurde: Kommunikation wirkt zu einem Großteil unbewusst. Die Hirnforschung gehe davon aus, dass über 95 Prozent aller Entscheidungen, und damit auch Wahlentscheidungen, durch die unbewussten emotionalen Prozesse im Gehirn gesteuert werden. Dieses implizite System verarbeite vollkommen unbewusst im „Hintergrund“ circa elf Millionen Bit pro Sekunde – eine schier unendliche Kapazität im Gegensatz zum expliziten System, das bewusst wahrgenommene Informationen gerade einmal mit 40 Bit pro Sekunde aufnehme. Um die implizite Wirkung der einzelnen Plakate zum Thema Bildung repräsentativ eruieren zu können, ließ Red pepper 102 Personen in einem online gestützten Marktforschungsverfahren zu den Wahlplakaten befragen. Dadurch, dass die Probanden unter Zeitdruck und auf einer stark intuitiven Ebene Aussagen treffen mussten, konnte die unbewusste Wirkung der Wahlplakate im höchstmöglichen Maß erfasst werden.

Die Parteien zeigen auf ihren Bildungspolitik-Wahlplakaten für Baden-Württemberg Bilder von Kindern – mit Ausnahme einer reinen Textlösung der Linkspartei. Auf der expliziten Textebene laufen die Botschaften alle in eine ähnliche Richtung: „Viele Chancen auf gute Bildung“ (CDU), „Die Kleinen groß rausbringen“ (Grüne), die SPD fragt „Wie geht gute Schule?“ und die FDP möchte wissen: „Wer macht uns für die Zukunft fit?“. Die Linke fordert „Die Linke in den Landtag! Von der Kita bis zur Uni gebührenfreie Bildung“. Auf der impliziten Ebene haben die Neuromarketing-Experten spannende Unterschiede festgestellt: Obwohl die CDU Kinder unterschiedlicher Geschlechter und Hautfarbe zeige und damit Integration, Toleranz und Gleichstellung thematisiere, komme dies auf der impliziten Ebene nur minimal zum Tragen. Die CDU spreche von Chancen – auf der impliziten Ebene assoziierten die Probanden jedoch vor allem Disziplin, Fleiß, Technik und Ordnung. Das angesprochene Motivations- und Emotionsprofil decke sich folglich mit dem konservativen christdemokratischen Parteiprofil, die CDU erreiche ihre Stammwählerschaft auf der impliziten Ebene sehr gut. Dieser Fall zeige, dass eine Partei in der Wahrnehmung der Wähler trotz anders akzentuierter Werbung kaum aus ihrem ursprünglichen Wertekanon ausbrechen kann.

Auf dem Plakat der SPD stehe ein Junge mit blonden Haaren und blauen Augen im Mittelpunkt. Kinder mit Migrationshintergrund seien nicht zu sehen. Während das CDU-Motiv implizit vor allem Disziplin und Fleiß anspreche, rufe das SPD-Motiv Assoziationen zu Familie, Gerechtigkeit, Neugier und Ehrgeiz hervor. Vor allem diese sozialen Komponenten entsprächen den sozialdemokratischen Wurzeln der Partei und wirkten stimmig. Während auf der expliziten Ebene häufig beklagt werde, dass zwischen den beiden großen Volksparteien zunehmend weniger Unterschiede erkennbar sind, zeigten sich auf der impliziten Ebene deutliche Unterschiede zwischen SPD und CDU: Die SPD decke mit ihrem Plakatmotiv die von dem CDU-Plakat laut Studie nicht einmal ansatzweise angesprochenen Motivräume Stimulanz, Neugier und Spaß ab. Zudem zeige sie auch im Bereich Genuss, Natur und Leichtigkeit eine relevante Differenzierung zu den Christdemokraten, die hier nicht einmal marginal mit diesen Begriffen assoziiert werden.

Das Bildmotiv der FDP sei explizit ebenfalls ein blonder Junge, dieser schiele verschmitzt grinsend auf die Überschrift des Plakates: „Wer macht uns für die Zukunft fit?“ Doch auf der impliziten Wirkungsebene werde deutlich, dass ein ganz anderer Motivations- und Emotionsraum angesprochen werde als bei der SPD: Das Plakat werde vor allem mit Sauberkeit, Ordnung und Fleiß assoziiert. Das implizite Profil der FDP sei damit nahezu deckungsgleich mit der CDU-Variante. Auch wenn das Kind lächelt und die Augen verdreht – auf der unbewussten Ebene zeige die FDP ein sehr konservatives Profil und positioniere sich damit inzwischen sehr weit entfernt von dem früheren Ansatz einer „Spaßpartei“.

Die Plakatkomposition der Grünen sei in Collagen-Optik gestaltet: Ein kleines Mädchen stehe auf einer Säule, die Hände in die Hüften gestemmt, die Überschrift laute „Die Kleinen groß rausbringen.“ Überraschenderweise erzeugten die Grünen mit diesem Plakat die stärkste und am weitesten differenzierte implizite Wirkung auf die Probanden. Die stärksten Assoziationen hierzu lauteten Natur, Neugier, Familie, Flexibilität, Mut, Gerechtigkeit, Kreativität, Stolz und Ehrgeiz. Das Profil der Grünen habe die stärkste Überschneidung mit der SPD. Das Plakat entfalte im Vergleich zu allen anderen Parteien die breiteste Wirkung. Das heißt, es spreche implizit die meisten Motivations- und Emotionssysteme an – und damit auch sehr unterschiedliche Wählergruppen. Dadurch verliere die Partei jedoch auch an Profilschärfe, da sie nicht so klar fokussiert sei wie etwa FDP oder CDU. In dieser Hinsicht seien die Grünen offensichtlich implizit auf dem Weg, eine neue Volkspartei zu werden.

Die Linke unterscheide sich auf der expliziten Ebene deutlich von den anderen Parteien, sie zeige kein Foto, sondern eine reine Textbotschaft in Boulevard-Optik auf rotem Untergrund. Auch implizit werde der Unterschied klar: Das Plakatmotiv werde vor allem mit Rebellion, Ernst, Ehrgeiz und Gerechtigkeit assoziiert. Die Rolle als Protestpartei scheine sich die Linke dabei auch implizit auf den Leib zu schneidern. Mit diesem Auftritt schneide die Linke im Vergleich zu allen anderen Parteien im Motivraum „Balance“ am schwächsten ab – und damit in einem Bereich, der vor allem für Sicherheit und Geborgenheit stehe und der für eine Partei, die über die reine Klientelpolitik hinaus neue Schichten ansprechen möchte, von hoher Relevanz sei.

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