Die Suche nach dem digitalen Honigtopf

Content Marketing ist eines der großen Schlagworte der Online-Werbeindustrie für dieses Jahr. Dahinter steckt freilich mehr als nur ein Redaktionsplan für Facebook. Mitunter sollten Unternehmen ihre gesamte Kommunikationsstrategie überprüfen.

Von Frank Puscher

Adidas wandelte das tragische Verletzungspech von Basketballer Derek Rose in eine einzigartige Comeback-Kampagne um. Statt einen kommunikativen Supergau zu erleben, nachdem das prominente Testimonial ausfiel, ist das eingesetzte Twitterkürzel #TheReturn bei den Amerikanern inzwischen zum Synonym für Stehaufmentalität, gute Vorsätze und Lebensveränderungen geworden, und Adidas schwimmt ganz oben auf der Euphoriewelle.

RWE konzentriert seine Kampagne zum Thema Smarthome ganz auf eine Microsite. Da es sich um ein erklärungsbedürftiges Thema handelt, werden auf der Website auch viele technische Sachverhalte erklärt. Im Mittelpunkt der Kampagne steht Lifestyle.

Tengelmann New Media stellt Content-Marketing sogar in den Mittelpunkt des Shop-Aufbaus bei GartenXXL. Vor allem Ratgeberthemen sollen die Nutzer bei Google suchen, bei GartenXXL finden und schließlich dort auch das nötige Zubehör kaufen.

Alle drei Marken, so unterschiedlich deren Reichweiten, Zielgruppen und Ziele auch sein mögen, eint eine Strategie: Alle setzen auf Content Marketing. In einer Zeit, wo die Aufmerksamkeitsreservoire der Nutzer nur noch gering gefüllt sind und wo es vor allem darauf ankommt, Kunden zur Interaktion zu verleiten, damit sich Werbebotschaften optimal verbreiten, sind spannende Inhalte das Mittel der Wahl. Der einfachen Werbeparole glauben die Adressaten weniger als den Geschichten, die ein Unternehmen oder im besten Fall gleich seine Kunden zu erzählen haben.

Ideen entwickeln für den richtigen Content

Die gängige Frage bei Marketern, die für ihr Unternehmen das Projekt Social Media starten, lautet: Was schreiben wir dort rein? Der Berater antwortet in der Regel, dass das eine Frage von Trial-and-Error ist. Man kann die Interessen der Nutzer zwar erahnen, doch genau weiß man darüber wenig.

Gelegentlich sind Unternehmen überrascht davon, was ihre Kunden bei den Inhalten spannend finden. Ein Münchner Maschinenbauer staunte nicht schlecht, als User-E-Mails beim Unternehmen eingingen, die anfragten, ob man die Closeup-Fotos von Werkzeugmaschinen und Zahnrädern, die man von einem Fotograf hatte anfertigen lassen, nicht auch in anderer Form veröffentlichen könnte als in Umgebung eines Flyers.

Baumaschinenhersteller Wirtgen kam erst auf die Idee, einen eigenen Youtube-Kanal einzurichten, als man wahrnahm, dass es dort draußen Fans der riesigen Asphaltfräsen gab, die sich an die Baustelle begaben, um das Treiben mit dem Handy zu filmen und dann auf Youtube zu veröffentlichen. Die Hochglanzvideos von Wirtgen fanden nicht die gleiche Beachtung wie die authentischen Amateuraufnahmen.

Durch Monitoring die Kundeninteressen aufspüren

Es gibt aber auch eine andere Variante, um zumindest eine Ahnung von den Interessen der Nutzer zu bekommen: Social Media Monitoring. Diese Disziplin kann einen sehr tiefen Einblick geben in Interessengebiete der User im Umfeld einer Marke und im Umfeld eines Themas. Wichtig ist, dass die für das Monitoring gewählten Suchbegriffe dabei nicht zu eng gefasst sind. Wer nur nach der eigenen Marke oder dem Produkt fahndet, übersieht, dass das Umfeld weit größer sein kann – insbesondere, wenn es sich um neue Marktsegmente handelt, bei denen die Begrifflichkeiten noch nicht etabliert und die Marktteilnehmer noch wenig bekannt sind. Wer heute E-Bikes bewirbt, tut gut daran auch den Begriff Pedelec zu beobachten.

Geht es nach Jens Fauldrath, dann ist Social Media Monitoring erst der zweite Schritt. Der erste Ansatz beginnt bei Google. „Wenn ich herausfinde, was die Nutzer im Umfeld meines Themas oder meines Produkts suchen, dann kenne ich auch die Inhalte, die auf die Website gehören“ so der Suchmaschinenexperte. Fauldrath arbeite für die Deutsche Telekom und berät Unternehmen bei der Entwicklung von Online-Marketing-Strategien.

„Smart Home“-Kampagne analysiert

Im Rahmen der diesjährigen Content Marketing Konferenz erläuterte Fauldrath anschaulich, wo sich Spreu und Weizen trennen. Er analysierte eine Kampagne von RWE zum Thema „Smart Home“. Für sich genommen sind sowohl die Website zu Smarthome, also auch die umgebende Banner- und klassische Werbung, vollkommen stimmig. RWE positioniert das Thema stark unter dem Aspekt von Modernität, Innovation und Lifestyle.

In einem zweiten Schritt aber bewarb RWE das Thema auch auf Google und optimierte die Website nach Prinzipien der Sichtbarkeit für Google, also SEA und SEO. Hier erzielte RWE durchaus gute Rankings, aber laut Fauldrath zu suboptimalen Suchbegriffen. Die hochwertigen und teuren Produkte aus dem RWE-Smart-Home-Shop traten auf einmal in Konkurrenz zu klassischen Baumarktartikeln, etwa bei der Rollladensteuerung. Die Analyse des Trefferumfelds ergab, dass diese Suchen vor allem mit konkreter Kaufabsicht durchgeführt werden. Hier haben die RWE-Angebote, hinter denen ja eine komplette Änderung der Infrastruktur steht, schon aufgrund der Preise einen schlechten Stand. „Sie stellen sich zwischen den User und sein Ziel“, sagt der Darmstädter und erkennt sogar negative Markeneffekte.

Der passende Kontext für den RWE-Ansatz im Hinblick auf Google wäre die Fokussierung auf die Themen Steuerungskomfort und Energiesparen. Das sind Themen, die im Umfeld dieser Suchbegriffe in großer Zahl stattfinden und wo es Aufklärungsbedarf gibt. Fauldrath ist der Auffassung, dass die bestehende Smart Home-Website das problemlos leisten kann ohne die Integrität der eigenen Kampagne von RWE zu stören. Schon das Einrichten einer Hauptrubrik zum Thema „Energiesparen“ würde viel Traffic von Google anlocken. In der aktuellen Startseite fehlt der Begriff komplett.

Content, aber mit Strategie

Das Finden der richtigen Inhalte ist der erste Schritt zur Content-Strategie, doch damit hört es nicht auf. Diese Inhalte gilt es an den verfügbaren Ressourcen im Unternehmen zu messen und in einen Redaktionsplan zu gießen. Viele Unternehmen überschätzen die eigenen Kapazitäten wenn es gilt, nicht eine einmalige Kampagne loszutreten, sondern eine dauerhafte Kommunikationsplattform zu betreiben. Nach der ersten Euphoriewelle versanden zahlreiche Projekte.

Arne Stoschek von Textprovider.de ist der Auffassung, dass man zunächst die vergleichsweise einfachen Medien „Text“ und „Bild“ ausreizen sollte, bevor man sich daran macht, mit großem personellem und finanziellem Aufwand Apps oder Videos zu produzieren. „Viele sehen nur die eigene Website oder den eigenen Blog und veröffentlichen dann noch einen Link auf Twitter oder Facebook. Dabei gibt es noch so viele weitere Plattformen für die Inhalte“.

Wikipedia ist eine solche Plattform. Stoschek produzierte für ein Unternehmen, das Strompreisvergleiche anbietet, einen Leitfaden zum Thema Solarthermie. Stoschek nutzte dann eine einfache Google-Suche, um die Wikipedia-Artikel zu finden, die sich mit dem Thema beschäftigten und gleichzeitig Lücken aufwiesen. Er suchte dafür nach der Wikipedia-Standardformel: „In diesem Artikel oder Abschnitt fehlen folgende wichtige Informationen“. Diese Lücken versuchte er zu füllen und setzte auch einen Link auf den Leitfaden.

Weiterhin verteilte er das E-Book an ausgewählte Blogger und Journalisten, bot es Themenportalen an und verfasste Pressemeldungen für PR-Portale. Im nächsten Schritt will er Interviews mit Themenexperten führen, um die Inhalte der Microsite anzureichern. „Außerdem ist es vom E-Book nur noch ein kleiner Schritt zu erweiterten Medienformaten. Mit Bildern versehen, wird der Text zur Slideshow für Slideshare. Lässt man einen Sprecher den Text vorlesen, wird daraus ein PodCast und mit Hilfe von Animationstools auch ein Video“.

Zwei Dinge gilt es dabei allerdings zu beachten. Zum einen ist der Zeitpunkt der Verteilung auf die jeweilige Plattform wichtig. Blogger tun sich schwer mit Informationen, die bereits auf Presseportalen zu finden sind. Und zweitens sollten die Texte pro Plattform so modifiziert werden, dass Google sie nicht für Duplikate hält.

Verkauft Content mehr Produkte?

Die Content-Marketing-Strategie will also sorgfältig geplant und virtuos ausgeführt werden. Nicht alle Unternehmen werden sich leicht tun, dafür Budgets zur Verfügung zu stellen. Während Marketer mit Branding-Fokus den Wert des „Geschichtenerzählens“ schon lange kennen, tut sich das vertriebsorientierte Marketing schwer damit, diesen Maßnahmen Verkaufserfolge zuzuordnen.

Dass das nicht sein muss zeigt ein gerade gestartetes Experiment von der Tengelmann New Media. Der Gartenbau-Versandhandel GartenXXL wurde um eine Content-Strategie herum entwickelt. Ratgeberthemen stehen im Mittelpunkt der Veröffentlichungen. Jede Seite und jeder Link auf ein Produkt ist mit einem Tracking-Code unterlegt. Die Marketer von TNM können präzise erkennen, welcher Content zu mehr Absatz führt. „Wir sind erst vor drei Monaten gestartet, aber wir haben das Ziel, die weitere Content-Strategie an den Themen auszurichten, die Verkaufserfolge erzielen“, erläutert Katharina Mitropolos, Business Performance Manager bei Tengelmann New Media.

Damit das gut funktioniert, unterliegt der Leistungsmessung bei GartenXXL ein so genanntes Attributionsmodell. Das bewertet die Contentelemente nicht nur danach, ob sie direkt Verkäufe auslösen, sondern gibt ihnen auch einen Wert, wenn sie frühzeitig zur Entscheidungsfindung dienen. So bleibt gewährleistet, dass ein gewisser Budgetanteil auch in allgemeine und grundlegende Artikel gesteckt wird. Denn die sind in der Frühphase einer Kaufentscheidung von besonderer Bedeutung.

Glaubt man dem Branchenorgan Versandhausberater, so geht der Plan derzeit auf. Die ersten Quartalszahlen von Garten XXL lagen 25 Prozent über Plan.

Fazit

Content Marketing funktioniert nur mit Strategie, kreativen Ideen und einer leistungsfähigen Erfolgsmessung. Bleibt der Erfolg, müssen auch unpopuläre Entscheidungen getroffen werden. Es gilt, eine gewisse Experimentierkultur im Unternehmen zu etablieren, so schwer das angesichts heterogener persönlicher und Abteilungsziele auch sein mag.