Die Kür der Callcenter

Qualitätssicherung ist ein heißes Thema in professionellen Callcentern. Auftraggeber üben zwar Preisdruck aus, wollen aber Top-Leistung. Dienstleister wie die TAS nutzen unterschiedlichste und ganz erstaunliche Verfahren, um ihre Qualität zu gewährleisten.

von Vera Hermes

„Es wird oft unterschätzt, welche umfangreichen Prozesse im Hintergrund ablaufen müssen, um einen hochvolumigen Service auf qualitativ hohem Niveau realisieren zu können“, sagt Dr. Bodo Krönfeld, Geschäftsführer von Arvato Services in Gütersloh. Qualität sei heute ein absolutes Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb. Daher verweisen alle, die in diesem Markt etwas auf sich halten, auf ihre Qualität. Dr.
Ralf Kogeler, CEO und Vorsitzender der Geschäftsführung der Walter Services Holding in Ettlingen, lässt zum Beispiel gleich auf der Website wissen: „Nur Qualitätsführerschaft sichert dauerhaft die Marktführerschaft.“

Qualität gewinnt nicht nur mit jedem von drittklassigen Callcenter-Buden verursachten Datenskandal an Bedeutung, sondern dient professionellen Dienstleistern auch als Argument, um im seit Jahren tobenden Preiskampf die Margen halten zu können. So nutzen die Callcenter oft eine ganze Palette an Verfahren, um ihre Qualität zu sichern. Das fängt bei der Mitarbeiterauswahl an. Angehende Telefonagenten durchlaufen Trainings, Coachings und Fachschulungen, bevor sie das erste Mal auf Kunden losgelassen werden.

Später werden sie kontinuierlich trainiert, qualifiziert und auf teils unternehmenseigenen Akademien weitergebildet. Aufwendige Messungen, statistische Verfahren, Mystery-Analysen und Tests sind in seriösen Callcentern mittlerweile an der Tagesordnung, wenn es um die Sicherung der Qualität geht. „In den vergangenen Jahren hat es insbesondere im Bereich der Qualitätssicherung eine deutliche Professionalisierung gegeben“, meint Krönfeld.

Die Persönlichkeit zählt! Unter diesem Motto könnte das Verfahren stehen, das die TAS Unternehmensgruppe in Mülheim an der Ruhr im Frühjahr 2008 erst vorsichtig getestet und ab September voll implementiert hat: Das Callcenter arbeitet mit der IPM-Systematik des Instituts für persönlichkeitsorientiertes Management in Görlitz. Das erklärte Ziel, so TAS-Geschäftsleiter Alfons Bromkamp: „Die Telefonie für Agenten und für Angerufene so angenehm wie möglich zu gestalten!“

Die Systematik basiert auf der Annahme, dass es sechs Persönlichkeitsausprägungen gibt, denen zum besseren Verständnis Farben zugeordnet sind: So ist die Durchsetzungskraft beim roten Typ besonders ausgeprägt, beim grünen Typ ist es das Sicherheitsbedürfnis und beim gelben das Bedürfnis nach Zugehörigkeit.

Da man Neukunden schlechterdings erst einen Fragebogen beantworten lassen kann, um sie einem der sechs Typen zuordnen zu können, entwickelten IPM und TAS eine Methode, mit der der Telefonagent während des Gesprächs mit wenigen Klicks das System informiert, wie sich der Kunde verhält. Das System wertet diese Klicks aus und ordnet den Kunden einem Typus zu. Auf der Rechnermaske des Agenten erscheinen ein entsprechend farbiges Smiley und ein typgerechtes Gesprächsskript.

Denn jedem der sechs Typen entspricht eine bestimmte Form der Kommunikation. Will ein Agent einen DSL-Anschluss verkaufen und sein Gesprächspartner ist ein grüner, sicherheitsbewusster Mensch, wird der Agent langsamer sprechen und als Argument das Sicherheitspaket in den Vordergrund stellen. Hat er es mit dem blauen Typ zu tun, der Wert auf Individualität legt, wird er dem Kunden anbieten, ihm auf Wunsch den passenden Bericht von Stiftung Warentest zu mailen. Beim roten Typ würden die zwei kostenlosen Startmonate des DSL-Anschlusses promotet.

„Das Gespräch wird für den Angerufenen deutlich angenehmer, weil es seiner Persönlichkeit entspricht“, resümiert Alfons Bromkamp.
TAS hat zu Beginn des Projekts zwei repräsentative Gruppen gegeneinander getestet: eine arbeitete mit, eine andere ohne IPM-Systematik.
Die IPM-Gruppe verzeichnete weniger Gesprächsabbrüche, erzielte deutlich mehr Abschlüsse, und die Agenten bewältigten mehr Anrufe pro Stunde, weil sie mit einzelnen Kunden schneller auf den Punkt kamen. Diese Erfolge steigerten die Akzeptanz bei den rund 200 TAS-Agenten. Mittlerweile hat TAS die Systematik auf das ganze Unternehmen ausgeweitet und verzeichnet eine Effizienzsteigerung im zweistelligen Prozentbereich.

Der Dienstleister nutzt die IPM-Systematik auch für Mitarbeiterrekrutierung und -einsatz. Mittlerweile hat von Führungskräften über Trainer und Coaches bis zum gesamten Agententeam jeder bei TAS einen IPM-Analysefragebogen ausgefüllt und wird profilgerecht eingesetzt. „Wir sind heute zum Beispiel bei der Personalauswahl sehr sicher, ob jemand für den Agentenberuf geeignet ist und ob er besser im Inbound oder Outbound arbeitet.

Das senkt Fluktuation und Kosten. Und wir haben mehr Agenten, die mehr Spaß haben, also geringere Krankenstände“, sagt Alfons Bromkamp. Sein Fazit: „Das ist super für uns als Dienstleister, aber vor allem ist es super für die Angerufenen, denn die Gespräche gehen auf die Bedürfnisstruktur des Einzelnen ein. Obwohl die gestiegenen Abschlussquoten ihre eigene Sprache sprechen, will die TAS die Ergebnisse im ersten Quartal 2009 mit einer Kundenzufriedenheitsanalyse untermauern.

Es nicht mehr um Erreichbarkeit oder Freundlichkeit

„Wer es schafft, die Kundenerwartungen in Erfahrung zu bringen und mit den richtigen Qualitätsinstrumenten zu prüfen, ist in der Lage, seine Qualität kontinuierlich zu verbessern“, sagt Torsten Marheineke, Director bei Buw Consulting in Osnabrück. Die Beratungsdivision gehört zum Callcenter-Dienstleister Buw Unternehmensgruppe und sorgt nicht nur für die interne Qualitätsüberwachung, sondern analysiert im Auftrag ihrer Auftraggeber auch deren Inhouse-Callcenter und externe Dienstleister.

Qualität wird hier aus der Brille der Endkunden betrachtet. Dabei geht es nicht mehr um Erreichbarkeit oder Freundlichkeit, „Es geht um die Kür!“, sagt Torsten Marheineke. Dafür setzt Buw Consulting auf Mystery-Analysen. Gemeinsam mit dem Auftraggeber werden die Kundenerwartungen definiert und festgelegt, welche Kundenerwartungen erfüllt werden sollen. So werden aus mehr als hundert Kriterien diejenigen ausgewählt, die bei der Bearbeitung eines Kundenanliegens per Brief, Call oder E-Mail dem jeweiligen Auftraggeber besonders wichtig sind.

Qualitätstests von Buw Consulting arbeiten mit verschiedenen Kundentypen. Ein Mystery-Anrufer kann zum Beispiel Student, Rentner, Studienrat oder Hausfrau und wahlweise neutral, interessiert, verärgert oder Beschwerdeführer sein. Diese Anrufe, -Mails oder -Briefe übernimmt ein festes Mystery-Team, das für diese Aufgabe geschult ist. Marheineke berichtet, dass dabei in einigen Callcentern mitunter erstaunliche Antworten aufgezeichnet werden wie: „Damit müssen sie klarkommen!“

Um zu gewährleisten, dass die Mystery-Agenten die Kontakte anhand identischer Einschätzungen bewerten, hat Buw mit dem Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie der Uni Münster ein Tool zur Beurteilung der Objektivität von Testern entwickelt: Interraterreliabilität (IRR). Damit wird die Qualität der Kontakte in Zahlen vergleichbar.

Zahlen sind generell ein Schlüssel zur Qualität. Markus Frengel, Bereichsvorstand Kundenservice bei der D+S Europe AG in Hamburg, prognostiziert: „Die Bereitschaft steigt, für Qualität Geld auszugeben. Ich bin überzeugt, dass sich diese Tendenz weiter verstärken wird, insbesondere vor dem Hintergrund, dass unsere Auftraggeber heute in der Lage sind, Prozesse zu messen: Sie ermitteln Kontaktkosten pro Kunde viel stärker als früher. Damit setzt sich Qualität durch, denn die Messungen zeigen immer, dass sich Qualität rechnet.“
Behält Frengel recht, brechen für Endkunden gute Zeiten an. Und für alle Callcenter hieße das: Die Kür wird ab sofort zur Pflicht!