„Die Identifikation mit der Marke Fendt ist in 100 Jahren gewachsen“

Mit Gespür für Innovationen steuert Martin Richenhagen erfolgreich den US-Landmaschinenkonzern Agco. Der gebürtige Kölner ist einer der wenigen deutschen Manager, die den Sprung an die Spitze eines großen börsennotierten US-Unternehmens geschafft haben. Stark gemacht hat Richenhagen den Konzern durch eine klare Markenstrategie. Die ursprünglich 26 Marken wurden auf vier reduziert: Challenger, Massey Ferguson, Valtra und – made in Germany – Fendt. Im Interview mit absatzwirtschaft-Autorin Christine Mattauch spricht Richenhagen über aktuelle strategische Planungen sowie über die Marketingkanäle Social Media und Live-Kommunikation.

Herr Richenhagen, die deutsche Marke in Ihrem Konzern, Fendt, soll sich stärker internationalisieren – Richtung Amerika, Afrika …?

MARTIN RICHENHAGEN: Für Afrika ist es noch zu früh, aber in Amerika kann ich mir das vorstellen. Traditionell kauft der amerikanische Bauer riesengroße Traktoren mit hoher PS-Zahl und hängt alles hintendran. Wohingegen der deutsche Landwirt eher mit Hydraulik arbeitet und kompaktere Schlepper hat. Für diese europäische Art der Landwirtschaft gibt es in Amerika zunehmend Interesse.

Dann schlägt Fendt dort aber Ihre anderen Marken.

RICHENHAGEN: Der schlägt sie nicht, sondern ergänzt sie.

Wieso, wenn doch Ihre Massey-Ferguson-Kunden die Vorzüge von Fendt entdecken, die Sie uns eben so eindrücklich geschildert haben?

RICHENHAGEN: Das ist nicht die Idee. Die Idee ist, dass sie von denen entdeckt werden, die heute Case oder John Deere fahren.

Das hofft man immer.

RICHENHAGEN: Wir packen das schon so an, dass sich unsere Marken nicht gegenseitig den Markt abgraben. Natürlich lässt sich nicht ausschließen, dass der eine oder andere Massey-Ferguson-Kunde umsteigt. Das ist aber nicht schlimm.

Weil Sie bei Fendt höhere Margen haben.

RICHENHAGEN: Genau.

Heute hat Fendt eine nahezu komplette Produktpalette: Mähdrescher, Ballenpressen, Häcksler. Warum eigentlich – Fendt hätte doch Spezialist bleiben können?

RICHENHAGEN: Der Landwirt hat seinen Maschinenpark gern aus einer Hand. Dann hat er im Service- und Ersatzteilwesen einen Ansprechpartner, das ist einfacher. Der Häcksler übrigens ist eine Neuentwicklung, der nur unter der Marke Fendt in den Markt gehen wird, obwohl er so gut ist, dass ihn alle haben wollten.

Wer entscheidet das bei Agco?

RICHENHAGEN: Diese Entscheidungen fallen bei uns zentral. Wir entwickeln auf der anderen Seite einen ganz kleinen, preiswerten Schlepper für Märkte wie Afrika, Indien, China und für Hobby-Landwirte, den bekommt Fendt nicht.

Wer bekommt den?

RICHENHAGEN: Den bekommt Massey Ferguson.

Ihr großer Konkurrent John Deere ist ein reines Ein-Marken-Unternehmen. Eine Option auch für Sie?

RICHENHAGEN: Würde der Fendt-Kunde sagen: „Das ist aber klasse, dass mein Schlepper jetzt Agco heißt!“ dann würden wir es sofort tun. Es begeistert ihn aber nicht, weil die Identifikation mit der Marke in 100 Jahren gewachsen ist. Bei Massey Ferguson in 160 Jahren. Es gibt viele Beispiele dafür, dass Marken abgeschafft worden sind und man es bereut hat. Bleyle war mal eine Premiummarke für Strickwaren, LGB bei Modelleisenbahnen.

Fragen wir umgekehrt: Wenn das Unternehmen vier starke Einzelmarken hat, wozu braucht es dann eine Dachmarke?

RICHENHAGEN: Agco ist keine Dachmarke, sondern die Holding. Sie finden Agco auf keinem unserer Produkte. Es hat für viel Aufsehen in den USA gesorgt, dass wir die Agco-Marke und den Agco-Schlepper abgeschafft haben. Wir sind dezent, pushen den Namen nicht. Sie werden keine Fernseh- oder Printwerbung für Agco sehen.

Mit der Folge, dass in Deutschland kein Mensch Agco kennt.

RICHENHAGEN: Das stimmt heute nicht mehr. Den Landwirten ist Agco ein Begriff und auch den Investoren. Wir hatten vor zehn Jahren null europäische Aktionäre, heute sind es 20 Prozent.

Agco ist bei Social Media erstaunlich präsent: Ihre Mitarbeiter twittern und bloggen, und bei Facebook hat der Konzern 42 000 Freunde. Wie kommt das?

RICHENHAGEN: Um dieses Projekt habe ich mich persönlich gekümmert, weil ich unsere Bauern kenne und wusste, die haben daran Spaß. Die großen Maschinen, von Fendt zum Beispiel, sind heute komplett vernetzt. Wenn der Landwirt mit dem Schlepper rumfährt, kann er permanent kommunizieren. Wenn er sich freut, weil er eine Rekordernte eingefahren hat, oder wenn er sich ärgert, schickt er eine Mail, postet oder twittert. Da kann man erstens sofort reagieren und zweitens das Feedback systematisch auswerten.

Der Vertrieb allerdings ist organisiert wie anno dazumal: Die Branche trifft sich bei Messen, vor Ort sitzt der Händler, und wenn der Bauer Glück hat, schickt Fendt einmal im Jahr eine Vorführkolonne vorbei.

RICHENHAGEN: Es gibt bewährte Lösungen, und zu denen gehört ein Händler vor Ort. Der sieht aber anders aus als vor 30, 40 Jahren. Damals war das ein besserer Schmiedebetrieb, der ein abgebrochenes Teil wieder angeschweißt hat. Heute sind das Leute, die mit Computerdiagnose arbeiten. Was wohl ein wenig altmodisch ist, das sind die Messen. Wir könnten viel Geld sparen, wenn wir nicht hinmüssten. Aber das geht nicht, denn die Bauern mögen die Messen, um sich Angebote anzusehen und sich auszutauschen. Das ist ein bisschen so wie früher.

Das ausführliche Interview mit Agco-CEO Martin Richenhagen lesen Sie in der November-Printausgabe 11/2011 der absatzwirtschaft –Zeitschrift für Marketing, die heute erschienen ist.

Der Chef des großen deutschen Landtechnik-Herstellers Claas, Dr. Theo Frye, sprach in einem ebenfalls exklusiven Interview mit absatzwirtschaft über die Innovationsführerschaft des westfälischen Familienunternehmens. Diesen Beitrag finden sie in Heft 2/2008 und in Auszügen hier.

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