Die Enkel von Fielmann. Oder wie die Brille zum Fashion Statement geworden ist.

Viu und Ace & Taste verwandeln die Sehhilfe zum Trendsetter-Accessoire. Wie bedrohlich ist der Markteintritt für traditionelle Optiker wie Fielmann? Eine Kolumne von Nina Rieke.
Kolumnistin Nina Rieke

Als ich diesen Sommer sehr spontan eine neue Brille brauchte, machte ich eine tolle Entdeckung: eine Optikerkette, die unglaublich schöne Gestelle anbot, zu unfassbar günstigen zweistelligen Preisen. Mit dem Versprechen, mir die Brille innerhalb 24 Stunden fertigzustellen. Krass! Und wenig später stellte ich fest, dass dies kein einzelnes Phänomen ist – sondern sich eine ganze Branche still und leise komplett erneuert hat. Nicht nur im digitalen Raum – sondern ganz real in der Fußgängerzone. Zuletzt beobachtet in diesem November, als Ace & Tate in der Wiener Neubaugasse in direkter Nachbarschaft zu Viu seinen neuen Shop eröffnete.

Bedrohung für traditionelle Optiker

Bei näherem Hinsehen nicht nur ein Nischenphänomen, sondern eine echte Herausforderung für das klassische Optikergeschäft. Hier ist der Mittelstand schon länger unter Druck: einschließlich des Online-Handels steigerte die Branche ihren Umsatz in 2016 um 2,1 Prozent auf 5,9 Milliarden Euro – wobei der größte Teil auf Ketten entfällt. Aber die Gewinner sind eben nicht nur Fielmann und Apollo. Sondern die, die in einem wachsenden Markt eine lukrative, innovative Nische für sich finden. Sind sie für den traditionellen Optiker und etablierte Ketten vielleicht eine Bedrohung, so schaffen sie für den Brillenträger ganz neue Möglichkeiten. Marken wie die niederländische Ace & Tate oder das Schweizer Start Up Viu sprechen vor allem eine überwiegend junge, urbane Zielgruppe bereits in zahlreichen europäischen Ländern an und setzen auf eine Kombination aus Online und Shop. Bei den Konzepten von Krass Optik oder den holländischen Eyes + More, der gerade seine hundertste Filiale eröffnet, sieht man das Mainstream-Potential dieser Verbindung von günstigem Preis, extrem schnellem Service und gutem Design.

Mehr als nur eine Sehhilfe

Was sie auszeichnet: sie haben verstanden, dass Brillen heute nicht nur Sehhilfe, sondern modisches Accessoire sind. Dass es sich daher lohnt, stärker wie ein Fashion Retailer zu denken. Und zum Beispiel kontinuierlich und nicht nur saisonal die Kollektion zu erneuern. Wenn der Zugang so einfach ist, wird es für den modebewussten Brillenträger leicht, die im Schnitt rund 340 Euro pro neuer Brille anders zu verteilen, und nicht nur alle drei Jahre zu kaufen.

Viu und Ace & Taste auf Wachstumkurs

So ist Viu, erst 2013 gegründet, bereits heute in Deutschland, Österreich, Niederlande, Frankreich und Belgien präsent – und hat eine erste Filiale in Spanien. Besonders interessant: Viu will kein Massenanbieter sein, sondern setzt auf nachhaltig produzierte Designerbrillen, handgefertigt in Manufakturen in Japan und Italien. Um es den Kunden leicht zu machen, setzen sie auf Service – und bieten neben Sehtests auch die Option an, sich unkompliziert bis zu vier Brillen zur Ansicht nach Hause zu bestellen. Designer-Kooperationen und Capsule Collections bei Fern- als auch Sonnenbrillen sorgen dazu für kontinuierliche Impulse. Ace & Tate wächst ähnlich rasant. Mit dem Versprechen „Amsterdam designed eyewear, handmade from 98€ including prescription lenses.” ist die Marke Viu in vielen Punkten ähnlich. Ace & Tate ist zwar „Online First“, orientiert sich in der Expansion mit seinen inzwischen mehr als einem Duzend Stores bis Skandinavien. Auch sie wollen ein möglichst individuelles Angebot machen, bieten neben Sehtest oder Online-Stylecheck persönliche Kommunikation über Whatsapp und Snapchat an.

Beide Konzepte bieten ein Markenerlebnis, was von der Website bis zum Shop sofort erlebbar macht, das sie anders sein lässt als herkömmliche Optiker. Es geht um individuellen Designanspruch, nicht um reine Sehhilfen. Die jungen Optiker-Marken machen so Lust darauf, regelmäßig vorbei zu schauen und neue Modelle zu probieren, statt nur alle vier Jahre eine neue Brille anzuschaffen – der Turnus, dem bisher die meisten Deutschen folgen. Anbieter, die nicht nur verstehen, dass sich die kulturelle Rolle von Brillen verändert hat – sondern auch die bisher unter einen Hut zu bringenden individuellen Erwartungen und die Gleichzeitigkeit von „schön-hochwertig-billig-schnell“ der nächsten Kunden-Generation zu befriedigen sind, um erfolgreich zu sein.

Ich bin gespannt, welchen Effekt die Newcomer auf große Ketten wie Fielmann oder Apollo haben – auf ihr Sortiment, Service, Shopgestaltung und Kommunikation.

Diese Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit dem Gesamtverband der Kommunikationsagenturen (GWA). Die GWA-Vorstände Nina Rieke (DDB Group) und Michael Trautmann (thjnk) schreiben hier regelmäßig für die absatzwirtschaft zum Thema Kunde-Agentur-Beziehung. Anlass ist eine große Kooperation zwischen der absatzwirtschaft, dem GWA und Agenturmatching: zur Agentursuche.