Der zweite Bildschirm sieht mit

Der Fernseher läuft und die Fernseherzuschauer tun nebenher im Netz ihre Meinung kund. Die Nutzung des zweiten Bildschirms neben dem TV wächst – und lockt allmählich die Werbetreibende an. Denn derzeit verzichten die noch auf ein profitables Geschäft.

Als die Fernsehserie „Mad Men“ über die Werbeindustrie in den 1960er-Jahren vor einer Woche in den USA in die sechste Staffel gestartet ist, wurde es besonders deutlich: Das Netz kannte kein Halten mehr. Der Hauptcharakter der vielfach ausgezeichneten Serie, Don Draper, fesselt die Zuschauer trotz zahlreicher persönlicher Schwächen. Für den Fernsehsender AMC bleibt die Serie ein ungekannter Erfolg.

In den Stunden um die Ausstrahlung gingen die allein über den Kurznachrichtendienst Twitter versendeten Meldungen mit Begriffen wie „AMC“ oder „Mad Men“ in die Hunderttausende. Ganz ähnlich verhält sich es, wenn in Deutschland die Krimiserie Tatort läuft oder eine Folge von „Wetten, dass..?“

Der klassischen Fernsehabend ist Geschichte: Couch, TV, Chips und ein Kaltgetränk nach Wahl reichen heute nicht mehr aus. Der TV-Konsum wird in aller Regel von weiteren Geräten ergänzt – von Laptop, Smartphone oder Tablet. Verschiedene Bildschirme zur selben Zeit, das ist die Realität, die neue Chancen für den Handel bietet. Mit cleveren Verknüpfungen der Inhalte auf den parallel genutzten Bildschirmen könnten neue Umsatzkanäle erschlossen werden.

Ungenutzte Chancen

Die Ideen sind vielfältig, in der Realität aber sieht die Nutzung der sogenannten Second Screen bescheiden aus. „Es wird seit Jahren davon geredet, aber die Umsätze sind noch sehr homöopathisch“, sagt Achim Himmelreich, Partner bei Mücke Sturm Consulting. Dabei ist nachgewiesen, dass viele Nutzer mit dem zweiten Bildschirm Inhalte verfolgen und vertiefen, die im Fernsehen laufen.

Auf den Zusammenhang hingewiesen hat ein Blogger im vergangenen November anhand von häufig aufgerufenen Wikipedia-Beiträgen zur Prime-Time. Mit der richtigen Werbung gelingt Ähnliches auch Unternehmen: Wenn der Online-Versandhändler Zalando einen TV-Spot ausstrahlt, verdreifachen sich die Nutzerzahlen, die via Smartphone und Tablet auf die Internetseite kommen, berichtete Christian Meermann, Chief Marketing Officer bei Zalando, im vergangenen November.

Mit mehr Traffic allein ist aber noch kein zusätzlicher Euro verdient. Und die intelligente Verknüpfung der Inhalte findet immer noch nur versuchsweise statt. Zuletzt wagte sich Versandhändler Otto gemeinsam mit dem Social-TV-Anbieter Couchfunk vor. Ende des Jahres wies auf der mobilen Applikation immer dann ein großes Banner auf ein Gewinnspiel von Otto hin, wenn ein Werbespot des Unternehmens im Fernsehen lief. Zu gewinnen gab es dann die Gegenstände, die im Spot zu sehen waren. 7600 Nutzer nahmen in fünf Wochen teil – beide Partner feierten den Versuch als großen Erfolg. „Es ist alles noch im Experimentiermodus“, urteilt dagegen Himmelreich zurückhaltender.

Fehlende Synchronisierung

Das liegt zum einen daran, dass eine direkte Synchronisierung von Fernseher und Second Screen aktuell noch nicht stattfindet. So können wie beim Otto-Pilotprojekt zwar Banner und Werbespot zeitlich aufeinander abgestimmt werden. Eine persönliche Adressierung der Werbung ist aber nicht möglich. „Der Second Screen weiß nicht von sich aus, wer ich bin, was ich gucke und was das richtige Angebot für mich ist“, sagt Achim Himmelreich.

Zum anderen mangele es bisher an wirkungsvollen Ideen, sagt Hans Jürgen Even, Geschäftsführer der Online-Kommunikationsagentur TWT Interactive: „Die Potenziale werden von den klassischen Marketingagenturen der Firmen noch nicht erkannt.“ Zu oft seien in den Unternehmen verschiedene Abteilungen für Werbung in Online-Medien und dem Fernsehen zuständig, sagt Even: „Bisher fehlen in der Werbung noch die ganzheitlichen Ansätze.“ Dabei gibt es rechnerisch gute Argumente für die verknüpften Konzepte.

Die Klicks über die Second Screens lassen viel genauere Rückschlüsse auf Erfolge zu, als breit streuende Fernsehspots ohne direkte Reaktion des Konsumenten. „Die eingesetzten Marketing-Euros werden messbar“, sagt Even. Setzen sich die Second-Screen-Konzepte durch, könnte es zum Normalfall werden, dass Kleidung und Accessoires aus der Lieblingsserie zeitgleich auf dem Handybildschirm angepriesen werden – bei der richtigen Verknüpfung auf dem Mobilgerät gleich in der passenden Größe oder der bevorzugten Farbe. Auch wenn viele andere Bildschirme eine Rolle spielen, wird das TV unverzichtbar bleiben: „Nichts kann so viele Emotionen hervorrufen wie das Fernsehen“, sagt Berater Himmelreich.

Von Manuel Heckel. Quelle: Handelsblatt