Der Unterschied zwischen Feldversuch und Realität – Oder der zweifelhafte Nutzen von Marktforschung

Am 1. Januar 2002 erwachten die Bewohner der Europäischen Union nicht nur mit den Folgen der Sylvesterfeier auf, sondern auch mit dem Euro, der nun Realität war. Eine der wichtigsten Fragen war natürlich, ob die Einführung des Euros das Verhalten der Verbraucher verändern würde. Um die Veränderungen für den Einzelhandel und die Verbraucher zu untersuchen, hatte ein Team von der französischen Management Schule Audencia in Nantes mit der nationalen Supermarktkette Systeme U ein Forschungsprojekt erarbeitet.

Die Arbeit begann Ende 1999 mit dem Aufbau eines In Situ Lab Shops* auf dem Campus von Audencia. Diese identische Kopie von drei Supermarktregalen bietet 300 Studenten der Schule eine Auswahl von 200 Haarpflegeprodukten, 100 Softdrinks und 80 Produkten fürs Frühstück. Die Studenten machten hier ihre Einkäufe und füllten dann einen Fragebogen über ihren Einkauf aus. Die Untersuchung zeigte, entgegen der Ängste, der Euro würde das Verhalten der Verbraucher beeinträchtigen, dass die neue Währung keinen großen Einfluss auf ihr Kaufverhalten hatte. Die Studenten verglichen meist direkt die Euro-Preise, und das einzige Risiko, das sie fürchteten, war eine Unterschätzung der Preise. Das Ergebnis war, dass die Produkte in Euros billiger schienen als in Francs. Diese ersten Ergebnisse ließen vermuten, dass die Anpassung an den Euro leichter sein würde als angenommen.

Zweite Untersuchung – gleiches Ergebnis

Einmal aufgebaut, diente der In Situ Shop für ein erstes Forschungsprojekt Ende 1999, bei dem die Verbraucher auf Preise, die nur in Euros ausgewiesen waren reagierten, dann für ein zweites Projekt Ende 2000, bei dem die Preise sowohl in Francs als auch in Euros ausgeschrieben waren.
Dieses Mal testeten wir die Preisschilder, die ein Jahr später in den Supermärkten ganz Frankreichs zu sehen sein sollten. Die Preise blieben weiterhin in Francs, aber der umgerechnete Preis in Euros erschien daneben in weit größeren Ziffern.

Die Idee dieser Auszeichnung kam aus einer Studie die gezeigt hatte, dass Verbraucher diese Technik als ein nützliches Mittel ansahen, sich mit dem Rechnen in Euros vertraut zu machen. Trotz des Beibehaltens der Preise in Francs, führten die Preise in Euros bei vielen Verbrauchern zu einem Verlust der traditionellen Preisvergleiche, ähnlich wie bei der Studie von 1999. Diese Tatsache führte bei vielen Testpersonen zu dem Gefühl, es gäbe ein Risiko die Preise zu unterschätzen, und verlängerte so die Zeit für den Einkauf. Trotzdem war ihre Lust, auf den Euro umzusteigen so ungebrochen wie die ihrer Kollegen 1999.
Die gute Nachricht für die Geschäfte in ganz Europa wurde von der In Situ Studie mit 300 anderen Studenten Ende 2000 also bestätigt.

Taugen junge Wirtschaftsstudenten als Testpersonen?
Die beiden In Situ Studien schienen zu zeigen, was die meisten Beobachter sich nur schwer vorstellen konnten: Die Franzosen würden den Euro mit offenen Armen begrüßen und sich mit wenig Anstrengung an ihn gewöhnen. Aber war dies die ganze Wahrheit? Die Grenzen der Studien im Lab Shop waren klar: Junge Wirtschaftsstudenten können sich weit besser an Veränderungen anpassen als andere „schwache“ soziale Gruppen (ältere Personen, Niedrigverdiener). Um ihre Ergebnisse mit einem weiterem Publikum zu testen, bauten wir einen neuen Situ lab Shop in einem der Supermärkte unseres Partners. Eine empirische Auswahl von 260 Kunden kamen in den In Situ Shop, und hatten jeweils 50 Euros auszugeben. Während ihres Einkaufs trafen sie die gleichen Preisschilder mit dem großen Euro-Preis wie die Studenten, aber auch Eingewöhnungshilfen die die Supermarktkette Systeme U geplant hatte.

Die positive Antwort auf das gleichzeitige Ausschildern von Euros und Francs war massiv; die Verbraucher sahen dies als große Hilfe an, um sich an die neue Währung zu gewöhnen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die französischen Verbraucher ein Jahr vor der Einführung des Euros mehr Zeit in den Supermärkten verbrachten, wenn sie mit den Euro-Preisschildern konfrontiert sind, dass aber die große Mehrzahl die Umstellung gut mitmachte. Es zeichnete sich ab, dass die Nation mit dem Euro so weiter einkaufen würde wie in der Zeit des guten alten Francs.

Vertrauensverfall innerhalb von Monaten
Am 1. Januar 2002 kam der Euro in die europäischen Portemonnaies. Als die neue Währung tatsächlich existierte, kreierten wir ein neues Forschungsprojekt, das „Euro-Barometer“, um zu messen, ob der generelle Optimismus der Verbraucher vor der Einführung des Euros weiter anhalten würde. Das Barometer basiert auf einem Fragebogen, der von 250 repräsentativen Käufern einer der Systeme U Supermärkte beantwortet wurde.
Eine erste Phase von Fragebögen im Februar 2002 bestätigte ohne Überraschung, das eine überragende Mehrheit von 85,4 Prozent der Verbraucher die doppelte Auszeichnung der Preise in Euros und Francs als große Hilfe ansahen.

Das vielleicht positivste Ergebnis dieser ersten Fragebögen war, dass die Verbraucher meinten, dass, obwohl diese speziellen Schilder ihnen halfen, sie bald durch einfache Euro-Preisschilder ersetzt werden sollten, um die Menschen zum Rechnen in Euros zu ermutigen. 70,4 Prozent wünschten sich, dass die doppelte Auszeichnung vor Juli 2002 abgeschafft werden sollte. 40,8 Prozent wollten, dass dies schon Ende März der Fall sein sollte. Ein weiteres Plus für die Wirtschaft war, dass 94,6 Prozent der Verbraucher das Gefühl hatten, die gleichen Produkte und Marken zu kaufen die sie vorher ihn Francs gekauft hatten.

Im Juni 2002, sechs Monate nach dem Erscheinen der neuen Währung reaktivierten wir unser Euro-Barometer. Verglichen mit den Ergebnissen vom Februar zeigte die Juni-Studie, dass die Verbraucher verunsichert waren.
Die Leichtigkeit mit der die Verbraucher mit dem Euro umgingen ging im Juni zurück. Während im Februar 50 Prozent der Verbraucher die Euro-Preise in Francs umrechneten, stieg diese Zahl im Juni dramatisch auf 72,9 Prozent. Im Juni sagten 32,2 Prozent, dass sie sich wenig anstrengten sich umzugewöhnen, gegenüber 22,3 Prozent vier Monate früher. Genauso war es, wenn man die Fähigkeit betrachtete, Preissteigerungen zu erkennen. Im Februar 2002 sagten 19,3 Prozent, sie hätten Probleme damit, während es im Juni 27,1 Prozent waren.

Fazit
Das vielleicht konkreteste Ergebnis der Anpassungsprobleme war die Meinung zur doppelten Ausschilderung der Preise. Fast zwei Drittel der Befragten wollten im Februar das Ende der doppelten Preisschilder vor Ende Juni 2002. Im Juni war das Ergebnis genau umgekehrt. Nur 28,6 Prozent wollten das Ende der doppelten Preise Ende Juni, und 36,1 Prozent wollten sie bis 2003 beibehalten (gegenüber 12,7 Prozent im Februar).

Aber es scheint so, dass mit der abnehmenden Euphorie die Verbraucher wirklich lernen, mit dem Euro zu leben. Unsere Euro-freundlichen Ergebnisse könnten also auf einer Honeymoon-Phase für die neue Währung beruhen.

Denn die Verbraucher sind letztlich immer noch fest in den Händen ihrer alten Währung, Monate nach der Umstellung auf den Euro. Aus Gewohnheit, Faulheit oder Angst vor versteckten Preiserhöhungen konnten sich die Franzosen trotz der positiven Ergebnisse der Studien im Vorfeld doch noch nicht an die einheitliche europäische Währung gewöhnen. Das kommende Jahr wird zeigen, ob dies nur ein temporäres oder ein tiefergehendes Problem ist.

* soll heißen „In Situation-Labor“, ein Shop im Feldversuch


Autor: Blandine Labbé-Pinlon, Audencia School of Management, Nantes, Frankreich, blabbe@audencia.com
eingestellt am 16. Dezember 2002