Der irrende Konsument: Große Unterschiede zwischen gefühlter und gemessener Mediennutzung

Werden Inhalte in Apps länger betrachtet als Inhalte in normalen Internet-Browsern? Werden in Apps mehr Inhalte gelesen? Was sagt die Statistik und wie beurteilt dies der Konsument? Und welche Auswirkungen könnte dies für die Mediaplanung von Werbetreibenden haben? Diesen und weiteren spannenden Fragen widmete sich eine Masterarbeit des Studiengangs ´Digital Marketing´ der Fachhochschule Kufstein Tirol.

Von den Gastautoren Peter Schneckenleitner, Hochschullehrer der Fachhochschule Kufstein Tirol und Andreas Leitner, Content Marketing Manager bei Evergreen Media.

Im Oktober 2015 startete ein österreichisches Nachrichtenportal eine mobile Applikation („App“) und stellte ihren Lesern somit einen zweiten Kanal zur Nutzung der Inhalte zur Verfügung. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten Anhänger des Online-Portals Inhalte ausschließlich per Internet-Browser konsumieren. Im Rahmen der hier vorgestellten Masterarbeit wurden in einem ersten Schritt mit google analytics die Zugriffs- und Nutzungsdaten des Nachrichtenportals analysiert und so Vergleiche zwischen „klassischen“ Nutzungsvorgängen über Internetbrowser und Zugriffen über „Apps“ gezogen. In einem zweiten Forschungsschritt erfolgte eine Nutzerbefragung. Gemessen wurde, wie Nutzer den Konsum von Medieninhalten über mobile Applikationen wahrnehmen und ob es hier Unterschiede zu den gemessenen Analytics-Statistikdaten gibt.

Inhalte in Apps werden deutlich länger betrachtet

Während Nutzer bei Browser-Zugriffen durchschnittlich 76 Sekunden auf der Website des Nachrichtenportals verbrachten, betrug dieser Wert bei Zugriffen über die App 147 Sekunden. Die User verblieben per App somit beinahe doppelt so lange auf der Website, als bei Zugriffen über den Browser. Interessant war hierbei, dass Unterschiede in der Visit-Dauer bei Zugriffen über mobile Browser deutlich höher ausfielen als über den Desktop

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Bei dem Vergleich bei Seitenaufrufen sind Apps im Gegensatz zu Website-Zugriffen über Browser offensichtlich im Nachteil. Während die App-Nutzer im Durchschnitt 1,12 Artikel pro Nutzungsvorgang aufrufen, gab es bei Zugriffen über den mobile/tablet/desktop-Browser 1,79 Artikelaufrufe pro Nutzungsvorgang.

Überraschung 1: Usern ist unterschiedliche Nutzungsdauer nicht bewusst

Anhand einer Online-Umfrage unter den Nutzern des Nachrichtenportals konnten knapp 400 valide Fragebögen ausgewertet werden. Dabei wurde deutlich, dass sich Nutzer der längeren Verweildauer in Apps offensichtlich nicht bewusst sind. Während die Analytics-Statistikdaten deutlich belegen, dass Inhalte in Apps länger betrachtet werden, sieht dies der Nutzer offenbar anders und fühlt hier keinen Unterschied.

Durch die Befragung konnte außerdem ausgeschlossen werden, dass die erhöhte Nutzungsdauer von Apps auf eine mangelhafte Usability zurückzuführen ist.

Überraschung 2: User meinen in einer App mehr Artikel zu lesen

Die Analytics-Zahlen zeigen, dass in einer App im Vergleich zu den Browser-Zugängen im Durchschnitt weniger Seitenaufrufe erfolgen. Die User unseres untersuchten Nachrichtenportals gaben jedoch in der Online-Befragung an gefühlt mehr Artikel in einer App zu lesen als in der Browser-Version. Insgesamt haben 57 Prozent der User das Gefühl, in Apps mehr Artikel zu konsumieren, während 43 Prozent ein gegenteiliges Gefühl haben. 

Nutzungsverhalten der User

Die erhöhte Visit-Dauer und der Eindruck von Nutzern, über Apps mehr Inhalte zu konsumieren als bei Zugriffen über Browser, lässt Rückschlüsse auf ein erhöhtes Involvement von App-Nutzern zu. Da Nutzer-Involvement positiv mit einer erhöhten Werbewirkung korreliert, sind die Ergebnisse der Arbeit somit besonders für werbefinanzierte Vermarkter von Bedeutung, da die vorliegenden Erkenntnisse höhere Preise für Werbekontakte in Apps rechtfertigen könnten. Ebenfalls können die erhobenen Ergebnisse eine Entscheidungsgrundlage für spezifische Werbekunden bilden.

Auch sollten Studien zum Thema mobile Applikationen, welche auf Befragungen beruhen, nur mit Vorsicht als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden. Grund dafür ist, dass App-Nutzer ihr Nutzungsverhalten anders einschätzen, als dies die gemessenen Daten zeigen.

Zu den Autoren: Dr. Peter Schneckenleitner ist seit 2015 Hochschullehrer für Kommunikationsmanagement an der Fachhochschule Kufstein Tirol. Zuvor war er über 15 Jahre als Kommunikationsexperte für unterschiedliche Unternehmen tätig, zuletzt als Leiter politische Kommunikation für die Lufthansa Group in Berlin.

Andreas Leitner zog es nach seinem Bachelorstudium in St. Pölten für seine weitere akademische Laufbahn nach Tirol. Dort studierte er bis zu seinem Abschluss im September 2016 „Digital Marketing“ an der Fachhochschule Kufstein und arbeitete nebenbei bei Evergreen Media, einer SEO-Agentur mit Sitz in Innsbruck.