„Das ‚Friendly Fire‘ einzelner aus dem Kreativlager können wir nicht nachvollziehen“

Klaus-Peter Schulz hat die Herausforderung angenommen: Seit knapp einem Jahr ist der ehemalige Sales-Vorstand der ProSiebenSat.1 Media AG Sprecher und Geschäftsführer der OMG in Frankfurt, der Organisation, die die Interessen der Mediaagenturen in Deutschland vertritt. Diese geraten in regelmäßigen Abständen in die Kritik. Seine bisherige Amtszeit zeichnet aus, dass er mit offenem Visier kämpft und um die Schwächen der eigenen Branche weiß. Eine Bestandsaufnahme
Klaus-Peter Schulz gilt als Kenner der Mediabranche und hat auf Agentur-, Unternehmens- und Vermarkterseite für Marktimpulse gesorgt

Herr Schulz, warum werden Mediaagenturen in regelmäßigen Abständen attackiert?

KLAUS-PETER SCHULZ: Mediaagenturen platzieren Werbung. Dabei geht es einmal um sehr viel Geld, aus Sicht mancher Kunden um die wichtigste Investition in ihre Marken. Zum zweiten verstehen viele die enorme Komplexität der Branche nicht, die ihnen folglich als Blackbox erscheint. Vor dem Hintergrund einer extrem steigenden Medienvielfalt in allen Gattungen hat die Digitalisierung radikale Umbrüche im Mediamarkt ausgelöst. An den Attacken auf die Mediaagenturen beteiligen sich die unterschiedlichsten Lager. Was sie eint, ist, dass sie nicht frei von Interessen agieren. Da sind einmal Berater, häufig Ex-Manager von Mediaagenturen, die über die Angriffe ihre Beratungskompetenz unter Beweis stellen und PR in eigener Sache betreiben wollen.

Da sind beispielsweise auch Medienunternehmen, die die digitalen Herausforderungen entweder nicht rechtzeitig antizipiert haben oder durch die Digitalisierung unter Druck geraten sind. Den Tageszeitungen zum Beispiel ist der Markt für Kleinanzeigen weitgehend weggebrochen. Auch kann man es wirklich nicht den Mediaagenturen anlasten, dass manche lokalen Radio- oder TV-Anbieter mit homöopathischen Marktanteilen fast unter der Nachweisgrenze von den Kunden nicht gebucht werden wollen, auch nicht bei hohen Rabatten. Auch die Medienpolitik steht vor neuen Herausforderungen. Heute geht es nicht mehr um die Regulierung von Engpässen bei den Übertragungskapazitäten wie in den Kabelnetzen der 90er Jahre, sondern vielmehr um Überangebot und Fragmentierung. Zudem wird die Medienvielfalt von Global Playern wie Google tangiert, die mit ihren Suchalgorithmen eine Medienvorauswahl beeinflussen.

Aber warum haben die Mediaagenturen ein so schlechtes Image?

Zunächst: In der direkten täglichen Zusammenarbeit mit ihren Kunden spiegeln sich den Mediaagenturen die im Markt kolportierten Vorbehalte so nicht wider. Schon gar nicht in der häufig bemühten Dramatik. Aber: Wir (die Mediaagenturen, Anm. d. Red.) waren im Markt insgesamt zu ruhig. So haben wir nicht oft genug betont, dass die Rabatte, die Mediaagenturen generieren, zu 97 Prozent an die Kunden durchgereicht werden, oder dass sogenannte „Tradingvolumina“, das sind Restwerbezeiten in nicht immer attraktiven Umfeldern, gerade einmal im einstelligen Prozentbereich liegen. Oder zum Thema Transparenz: Allein im vierten Quartal 2015 waren 2,3 Milliarden Euro Mediainvestitionen in Pitches ausgeschrieben. Entgegen anders lautenden Presseveröffentlichungen wollen Kunden dabei gerade nicht, dass die von den Agenturen verhandelten Konditionen, die sie auf Basis ihrer Bündelungsrabatte erzielt haben, nach dem „Pro Rata“-Prinzip, also entsprechend des Budgetanteils des einzelnen Kunden am gesamten Buchungsvolumen der Agentur, durchgereicht werden. Kunden fordern für sich deutlich überproportionale Vorteile. Das geht aber nur im Wettbewerb. Bei allen diesen Themen müssen wir offensiver werden.

Dann sind die Mediaagenturen also schlecht in der Außendarstellung?

Das verhält sich vermutlich wie mit den Schuhen des Schusters. Der Fokus der OMG-Agenturen liegt vorrangig auf ihren Kunden. Das Tagesgeschäft, die Beratung und Betreuung der Kunden, hat absolute Priorität und fordert den vollen Einsatz. In der hohen Dynamik der Digitalisierung sind die Agenturen zu Neustrukturierungen und veränderten Prozessen bei der Arbeit auf der Marke gefordert. Da kamen Außendarstellung und Eigenmarketing zeitweise zu kurz. Allerdings hat ein klares Umdenken eingesetzt und einige Agentur-CEO’s wie beispielsweise Katja Brandt (Vizeum), Florian Adamski (Omnicom) oder Jens-Uwe Steffens (Pilot) haben in den letzten Wochen die Perspektive der Mediaagenturen sehr konstruktiv in verschiedenen Interviews dargestellt.

Welchen Anforderungen müssen sich denn die Mediaagenturen konkret stellen?

Moderne Kommunikationslösungen erfordern interdisziplinäre Teams mit noch mehr Kundennähe. In der Konsequenz wurden und werden die meisten Mediaagenturen komplett umgebaut, alte Strukturen aufgelöst und das Leistungsportfolio neu ausgerichtet, Komplexitäten in Prozessen reduziert. Von Kundenseite werden die Mediaagenturen wesentlich stärker mit Fragen zur Markenführung konfrontiert und agieren direkt an der Schnittstelle zwischen Vertrieb und Marketing. Es geht um den Return on Investment mit der Frage, wie alle Maßnahmen in absatzorientierte Key Performance Indicators (KPI) einzahlen. Dies wird mit Methoden des ökonometrischen Modellings, angereichert mit Big Data, analysiert. Der Prozess der Roadmap auf der Marke umfasst dazu Consumer Insights über die Wahrnehmung und Werte der Marke, fragt nach Content, der für die jeweiligen Zielgruppen relevant ist, und legt die Customer Journey fest. Dabei sind auch immer noch Reichweite und Bekanntheit zu erzielen, aber dann geht es konkret um die Konvertierung aller Maßnahmen über Online und Social Media in absatzorientierte KPI. Und daran wird die Arbeit von Mediaagenturen gemessen.

Ihrer Meinung nach ist die Behauptung, dass Mediaagenturen Beratung und Einkauf vermischen und dadurch schiefe Mediapläne produzieren, nicht haltbar. Warum?

Ganz einfach: Weil 97 Prozent der generierten Rabatte ohnehin an die Kunden durchgereicht werden und schon deswegen die Planung den Einkauf bestimmt und nicht umgekehrt. Im Übrigen steht es jedem Kunden frei, Planung und Einkauf zu trennen oder selbst direkt bei Medien einzukaufen. Dennoch ziehen die meisten das integrierte Modell vor, da es auch die adäquate Antwort auf die aktuelle wie zukünftige Marktentwicklung bietet. Denn jede weitere Schnittstelle nimmt aus dem gerade skizzierten Prozess auf der Marke Fahrt und Momentum raus. Hinzu kommen die Anforderung an Content Marketing Lösungen, die oft auch in der Umsetzung mit Medien abzustimmen sind. Mediaagenturen agieren heute bei der Kampagnenentwicklung und -Umsetzung auch als Content-Manager, die Zielgruppen kanal- und device-übergreifend adressieren, zunehmend auch in Real-Time. Je vernetzter Kampagnen geplant und umgesetzt werden, desto schwerer fällt es, Planung und Einkauf zu separieren.

Besteht nicht die Gefahr, dass Unternehmen selbst die Tools in die Hand nehmen und in Programmatic Advertising investieren?

Wir sehen keine Gefahr darin, sondern eher Chancen – für Werbekunden wie Agenturen. Die zunehmende Automatisierung der Mediaprozesse schafft neue Kapazitäten für kreative, wirkungsgetriebene Ansätze. Programmatic bedeutet erst einmal effizientere Mediaplanung, weil man Werbeinventar nach wesentlich mehr Kriterien als Reichweite oder Affinität bewerten und aussteuern kann. Dies entspricht einem beratungs- und technologisch-forcierten KPI-Ansatz. Daher bauen die Mediaagenturen auch gezielt diese Kompetenzen aus, um für den einzelnen Kunden die für ihn passende, maßgeschneiderte Lösung zu finden, zu entwickeln oder zu vermitteln.

Bleiben Otto und Zalando mit der Vermarktung der eigenen Reichweite an Dritte eine Ausnahme?

Erfolgreiche Kunden und Marken haben Zugang zu Millionen Menschen. Mit ihren Auftritten in Social Media, auf ihren Webseiten, Apps , Smart TV, stationär wie mobile haben sie auch das Potenzial, zu Medien zu werden. Zalando erweist sich als erfolgreiche Marketing-Plattform, erfolgreich über TV bekannt gemacht und mit eigenem Ansatz bei Facebook und Social Media, die ihre Services auch anderen Unternehmen anbietet. Aber auch gerade im E-Commerce sind Mediaagenturen gefragt. Nicht umsonst hat deshalb zum Beispiel Torsten Ahlers von Otto Group Media vor kurzem in einem Interview betont, dass Mediaagenturen von „zentraler Bedeutung“ seien, wenn es um Markenführung und Positionierung geht.

Was sind die größten Herausforderungen der Mediaagenturen in den nächsten Jahren?

Das Hauptaugenmerk der Mediaagenturen liegt heute und in der Zukunft auf der Beratung, Technologie sowie Content-Management und -Logistik. Um den steigenden Kundenerwartungen gerecht zu werden und den Return on Investment pro Marketing-Euro zu erhöhen, werden die Mediaagenturen zu Kommunikationsdienstleistern. Agenturen investieren in Technologie und Content-Kompetenz und gerade auch in den signifikanten Ausbau ihrer personellen Kapazitäten in den Beratungs- und Planungsunits, in denen heute zwei Drittel ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig sind. Recruitment, Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter werden immer wichtiger. Für junge Menschen bieten sich mit dem Arbeiten auf der erfolgsabhängigen Inszenierung von Marken in der extrem dynamischen Medienwelt spannende fordernde Berufsfelder in den Agenturen.

Werden Media- und Kreativagenturen irgendwann wieder verschmelzen – nachdem maßgeblich Kai Hiemstra in den 1970er Jahren die Trennung herbeiführte?

Die Konvergenz von Kreation und Media nimmt zu. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Digitalisierung Werbung und Marketing grundsätzlich revolutionierte, war die Aufteilung simpel: Die Kreativagenturen produzierten die schönen bunten Bilder, die Mediaagenturen sorgten dafür, dass diese Bilder bei den richtigen Zielgruppen ankamen. Diese Raumaufteilung hat sich grundlegend geändert. Die Grenzen verschwimmen und beide Disziplinen arbeiten im Idealfall heute so eng verzahnt zusammen wie nie zuvor. Denn beide brauchen sich gegenseitig: Die Mediaagenturen profitieren von innovativen Ideen der Kreativen, diese wiederum von den Consumer Insights der Mediaexperten, auch mit ihren Expertisen in den Bereichen Performance Marketing, Content Marketing oder Social Media. Und es bedarf technologischen Know-hows, um die zunehmende Automatisierung und dynamische Aussteuerung der Prozesse (Programmatic Buying und Advertising) zu stemmen sowie die kontinuierlich wachsende Datenflut sinnvoll analysieren und die daraus gewonnenen Erkenntnisse wirkungsvoll umsetzen zu können. Von daher können wir auch das „Friendly Fire“ einzelner Protagonisten aus dem Kreativlager nicht nachvollziehen.

Klaus-Peter Schulz ist seit Juni 2015 Sprecher und Geschäftsführer der OMG Service GmbH. Der studierte Politologe kennt das Geschäft von der Pike auf: Er führte unter anderem die Mediaagentur OMD, war CEO in die Holding BBDO Germany und zuletzt Vorstand Sales & Services bei der ProSiebenSat.1 Media AG. Vor rund fünf Jahren ging er in die Selbständigkeit als freier Unternehmensberater für Media und Kommunikation.