Das Asoziale an den sozialen Medien

Die meisten Anbieter in den sozialen Medien brechen mit Marktkonventionen, was legal ist. Sie missachten reihenweise bestehende Gesetze, was illegal ist. Und: Sie kassieren Milliarden für die unentgeltliche inhaltliche Arbeit ihrer Kunden, was asozial ist!
Karsten Kilian

Bruch mit Marktkonventionen

Die sozialen Medien stellen etablierte Marktstrukturen reihenweise in Frage. Ein Grund hierfür ist nicht, dass „die Neuen“ besonders gut sind, sonst könnten sie „ihr Produkt“ nicht in wenigen Monaten „zusammenschrauben“, sondern dass „die Etablierten“ vielfach einfach nur schlecht sind. Sie sind Besitztumswahrer, die die Möglichkeiten der neuen Medien nicht rechtzeitig begreifen, ja begreifen wollen. „Schuster, bleib‘ bei deinen Leisten“, hört man allerorten. Doch die alten Schuhe tragen nicht mehr.

Die altehrwürdigen Unternehmen sind in ihren bewährten Abläufen und Strukturen gefangen und gehen in und mit ihrem Sicherheitsnetz unter. Ein Wagnis eingehen? Lieber nicht. Wer wagt, wackelt. Wer bewahrt, bleibt bis zum letzten Tag. Die besten Mitarbeiter gehen früh von Bord – und zu den Neuen. Oder sie machen sich selbständig. Das war schon immer so. Gardena, SAP, und Daimler sind so entstanden. Beschäftigt waren die Gründer zuvor bei Wolf-Garten, IBM beziehungsweise Deutz.

Damit ist klar: Das Establishment marginalisiert sich selbst. Es fährt weiter auf der Landstraße, während daneben eine fünfspurige Autobahn entsteht, auf der sich alsbald die breite Masse tummelt, während die Landstraße bald einsam und verlassen wirkt. Dazu sind Regelbrüche notwendig. Gesetzliche Regelbrüche sind damit aber nicht gemeint!

Missachtung gesetzlicher Regeln

Ein zweiter Grund ist deshalb, dass die Neuen bestehende Regeln und Gesetze missachten, wo sie nur können. Sie verdienen auch und gerade mit den gesetzlichen Regelbrüchen einen Großteil ihres Geldes. Der Regel- und Gesetzesbruch ist Teil ihres Erfolges! Das ständige „für uns gelten die gesetzlichen Spielregeln nicht“ geht einem – bei aller Coolness der elektronischen Lösungen – ganz schön auf die Nerven. Die Neuen machen damit Milliardenumsätze, investieren dann in Lobbyarbeit und erreichen vielfach, dass die Gesetze ihrem Tun entsprechend angepasst werden. Sie werden sozusagen „legalisiert“.

Es kann aber doch nicht sein, dass der Gesetzgeber zunächst Verbotenes durch Gesetzesänderungen schrittweise legalisiert, sondern „die jungen Wilden“, die Gesetzlosen, müssen sich an die gleichen Regeln und Gesetze halten wie etablierte Unternehmen auch. Andernfalls liegt unfairer Wettbewerb vor. Der Staat ist hier in der Pflicht.

YouTube muss GEMA-Gebühren bezahlen. Uber muss sicherstellen, dass die Fahrer adäquat versichert sind, Sicherheitsvorschriften einhalten und ihren Nebenverdienst versteuern. Und Facebook muss den deutschen Datenschutz einhalten, wie jedes andere in Deutschland tätige Unternehmen auch. Dann sind die Neuen auch nicht mehr ganz so schnell wie die Gesetzestreuen, manch einer sieht danach vielleicht sogar ganz schön alt aus – und geht offline: Uberholt, AusgeTubt und Faceoff.

Der Staat muss endlich seine, ja, unsere Regeln durchsetzen! Für uns, die Bürger, die wir zu schwach und geblendet sind von den Möglichkeiten. „Don‘t be evil“ hört sich nett an, ist aber schwer einzuhalten. Wie viel Steuer zahlt die weltweit größte Suchmaschine auf seine Werbeerlöse in Deutschland? Zahlt der US-Konzern überhaupt Unternehmenssteuern in Deutschland? Die Spielregeln müssen für alle die gleichen sein, sollten sie zumindest. Ein klarer Auftrag für Vater Staat.

Abkassieren für die Arbeit Dritter

Hinzu kommt bei den Neuen, dass sie im Prinzip nur kostengünstig ein bisschen technische Infrastruktur vorhalten, während wir die wertvolle inhaltliche Arbeit umsonst machen.

Das ist das neue Geschäftsmodell: andere unentgeltlich für sich arbeiten lassen und gnadenlos abkassieren, möglichst steuerfrei. Of course? Off course!

Marktseitige Regelbrüche? Ja. Gesetzliche Regelbrüche? Nein. Andere unbezahlt für sich arbeiten lassen? Nein, nein, nein!

Es gilt, die asozialen Medien zu sozialisieren, damit sie endlich zu echten sozialen Medien werden.

Über den Autor: Prof. Dr. Karsten Kilian gilt als einer der führenden Markenstrategen Europas. Mit Markenlexikon.com hat er das größte Markenportal im deutschsprachigen Raum aufgebaut. Seit mehr als zehn Jahren lehrt der an der Universität St. Gallen promovierte Diplom-Kaufmann an Hochschulen im In- und Ausland und berät mittelständische Unternehmen in Markenfragen. Professor Kilian hält regelmäßig Vorträge auf Kongressen, ist Jury-Mitglied mehrerer Markenpreise und moderiert jährlich drei bekannte Markenkonferenzen.