CRM in der Energiewirtschaft

Seit der Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes im April 1998 hatten Mitte 2000 knapp drei Prozent der deutschen Haushalte und ca. 11 Prozent der Geschäftskunden ihr Energieversorgungsunternehmen (EVU) gewechselt.

Die Themen:
Markttrends in der Energieversorgung
Konsequente Marktbearbeitung
Anbietermarkt
Pioniere bereiten den Weg
Lernen von anderen Branchen

Zwei Binsenweisheiten haben die EVU dabei gelernt: Erstens: der Preis ist ein führender Einflussfaktor in der Kaufentscheidung aller Kunden. Zweitens: die Führung im Preiswettbewerb gefährdet langfristig die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Seit einiger Zeit begegnen daher innovative EVU der zu erwartenden Zunahme der Kundenfluktuation mit einer Differenzierung durch kundenorientierte Dienstleistungen und Produkte und entkommen so zum einen der Preisspirale und erhöhen andererseits ihre eigene Rentabilität.

Markttrends in der Energieversorgung
Die aktuelle Ausgangssituation der EVU ist gekennzeichnet von einem gesättigten, eher schrumpfenden inländischen Markt mit wenig Produktdifferenzierungspotenzial. Daneben stehen mangelnde Erfahrungen im Umgang mit der Wettbewerbssituation und den erforderlichen Vertriebs-/Marketinginstrumenten. Die Fähigkeit zur Energieerzeugung wiederum bedingt einen hohen Fixkostenblock.

Neue z. T. netz- bzw. erzeugerungebundene Wettbewerber (z. B. Stromhändler / -broker) haben diese Altlasten nicht und können so auch schneller von technischen Innovationen mit höherer Wirtschaftlichkeit profitieren (z. B: Blockheizkraftwerk). Hinzu kommt im Wärmebereich noch ein starker Wettbewerb durch substitutive Energieträger (Öl, Gas, Fernwärme).
Auf der Nachfrageseite schließlich sehen sich die EVU einer geringen Anbieterloyalität gegenüber und erleben eine Bündelung der Kauf- und damit Verhandlungskraft durch Einkaufskooperationen und den zentralen Einkauf bei Bündelkunden.

Der Trend zu niedrigeren Preisen ist allerdings mittlerweile, zumindest im Privatkundenbereich, gebrochen und mündet in eine neue Situation für die EVU und deren Kunden.
Die Frage der Kunden lautet nicht mehr: „Wo decke ich meinen Energiebedarf am günstigsten?“, sondern für Geschäftskunden „Mit welchem Partner kann ich die Energieanteile meiner Wertschöpfungskette optimieren?“ und für Privatkunden „Welcher Anbieter bietet mir ein Dienstleistungspaket, das am besten an meine Lebenssituation angepasst ist?“ Vor diesem Hintergrund haben sich Im Geschäftskundenbereich eine Reihe von Anforderungen der Kunden herauskristallisiert:

  • Ganzheitliche Optimierung der Energiekosten
  • Transparenz des eigenen Verbrauchs und der Verbrauchsmessung
  • Vereinfachtes Controlling der Abrechnungsdaten
  • Kontinuierliche Betreuung

Bei Privatkunden zeichnet sich derzeit vor allem ein Aufklärungs- und Informationsbedarf ab, der über verschiedene Kanäle gedeckt werden muss. Die EVU haben hier noch beachtenswerte Möglichkeiten, einen Markt zu schaffen, da sich Privatkunden in der Mehrzahl über ihre neuen Möglichkeiten und Freiheiten noch nicht im Klaren sind.

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Konsequente Marktbearbeitung
Erfahrungen aus anderen Branchen (z. B. der Telekommunikation) haben gezeigt, dass nach dem Preiswettbewerb der Kommunikationswettbewerb ausbrechen kann. Hierbei wird oft halbwegs individualisierte und vor allem häufige Kommunikation mit Kundenorientierung verwechselt. Die Schaffung eines Wettbewerbsvorteils durch einen individuellen Mix von Kommunikation und Produkt-/ Dienstleistungsangebot wird nur ganz selten erreicht. Der konsequente Schritt „vom Zähler zum Kunden“ bleibt aus.

Ohne einer Technologie den Vorzug geben zu wollen, sei am Beispiel Internet gezeigt, welche Möglichkeiten einer individualisierten Marktbearbeitung sich EVU zur Zeit eröffnen. Während die meisten EVU noch mit einer mehr oder weniger professionellen Informationspräsenz im Internet stehen – im Prinzip ein Monolog -, haben einige andere Anbieter die Möglichkeiten des Internet für sich zu nutzen gewusst.

So haben zum Beispiel die Stadtwerke Düsseldorf (www.swd-ag.de) innerhalb des sonst üblichen Segmentes Geschäftskunden zwei Teilsegmente identifiziert, die mit einer spezifischen Präsenz angesprochen werden: Hotels und Krankenhäuser. Unter Ausnutzung bestimmter Synergien innerhalb des eigenen Hauses können sich hier Vertreter dieser Branchen „wiederfinden“ und erkennen, dass sich dieses EVU gezielter mit Kundenanforderungen auseinandersetzt.

Darüber hinaus bietet der dortige „Kundenbereich“ die Möglichkeit, das jeweilige Energiegeschäft (u. a. Verträge, Rechnungen, Verbrauch / Lastgang) online zu verwalten. Hier wird mit unaufdringlichen Mitteln ein echter Mehrwert geschaffen, der zudem noch eine Reihe von sehr spezifischen Kommunikationsmöglichkeiten eröffnet, die ohne die fokussierte Dienstleistung gar nicht möglich wären.

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Anbietermarkt

Auf dem deutschen Softwaremarkt sind derzeit 125 Firmen tätig, die den Ausdruck „CRM“ in Ihrer Produktbeschreibung führen. Von diesen 125 Firmen sind allerdings nur ca. 22 als Komplettanbieter zu betrachten, also Anbieter, denen es gelingt, alle Bausteine von CRM glaubhaft abzudecken. Die übrigen Anbieter besitzen zum Teil marktführende Kompetenzen in einzelnen Komponenten (z. B. Call Center oder Analyse), verfügen aber nicht über die Fähigkeit, eine umfassende CRM-Strategie zu tragen.

Kompetenzen und Erfahrungen in der Energiewirtschaft bekunden 28 Anbieter in Deutschland. Nur wenige Firmen können allerdings auf eine wirklich große Anzahl von Kunden im energiewirtschaftlichen Sektor verweisen. Bei diesen wiederum handelt es sich oft um mittelständische Anbieter, die im Wettbewerb mit den internationalen, (noch) branchenübergreifenden Anbietern zunehmend in Bedrängnis geraten, da sie für die ausgefeilten Funktionalitäten, die CRM erfordert, nicht über die erforderlichen Ressourcen und Kapitalmittel verfügen.

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Ein anderes Thema, bei dem Dienstleistung, Kommunikation und Kostenvorteile für das EVU kombiniert werden können, ist das „Internet Billing“, bei dem – auch im Privatkundengeschäft – Kunden ihre Rechnung im Internet einsehen und auch begleichen können. Dieser Ansatz bezieht seine Attraktivität daraus, dass es dem EVU erlaubt, mit dem Kunden regelmäßig in Kontakt zu treten, ohne ihn gezielt dazu auffordern zu müssen, d. h. parallel zu dem Rechnungsprozess bieten sich zahlreiche Kommunikations- und ggf. auch Cross-Selling-Möglichkeiten, die sehr gezielt anhand des Verbrauchsprofils und des Benutzerverhaltens gesteuert werden können. Für Geschäftskunden hat Internet Billing darüber hinaus noch den Vorzug einer weitestgehend automatisierten Bearbeitung und zeitnaher Controlling-Möglichkeiten.

Pioniere bereiten den Weg
Das größte Problem der Pioniere bei diesen innovativen Interaktionsmöglichkeiten ist die Verfügbarkeit geeigneter IT-Infrastruktur. Die vielen z. T. selbst entwickelten Abrechnungssysteme, an denen die oben genannten Beispiele zwangsläufig angebunden sein müssen, stellen größte Herausforderungen an Schnittstellen und deren Überwachung.

In machen Fällen entscheidet man sich sogar nicht nur aus pragmatischen, sondern auch aus Kostengründen für eine manuelle Überführung von Daten mit den damit verbundenen Risiken. Die Koordination verschiedener Kommunikationskanäle und die Abwicklung völlig neuer Dienstleistungskonzepte erfordern darüber hinaus ganz neue Applikationen, die man in der Regel unter dem Begriff CRM zusammenfasst.

Nimmt man die Implementierung von IT-Lösungen für CRM als Indikator für die Verbreitung von CRM in der deutschen Industrie so ergibt sich nach einer Studie der META Group, dass derzeit nur 18 Prozent der Unternehmen in Deutschland diesen Schritt bisher vollzogen haben und sich weitere 16 Prozent erst in Planung oder Evaluierung befinden. Nach Einschätzung der Autoren liegt der Anteil der Implementierungen in der Energiewirtschaft noch deutlich darunter. Dies liegt auch darin begründet, dass viele Anbieter von CRM-Lösungen nur wenig Erfahrung im Energie-Umfeld mitbringen und somit deren Lösungen auch eine aufwendige Anpassung erfordern.

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Lernen von anderen Branchen
Insbesondere die Service-Industrie hat in den vergangenen Jahren die Benchmarks für Kundenorientierung gesetzt, an denen sich nun auch die Energiewirtschaft messen muss. Dies beginnt bei der persönlichen Ansprache der Anrufer im Call-Center aufgrund einer Rufnummernerkennung und geht bis zu Außendienstmitarbeitern, die im Kundengespräch Leistungen und Tarife individuell für den Kunden konfigurieren können.
Beispiel: Die Call-Center Mitarbeiter eines Frankfurter Taxi-Unternehmen können sich aufgrund der Rufnummernerkennung des Anrufers dessen Profil und bisherige Kontakte anzeigen lassen. Dies erlaubt eine weit persönlichere Ansprache und auch Referenzen auf das bisherige Geschäft: „Schön, dass wir Sie nach drei Monaten wieder begrüssen dürfen?“.

Ein großer deutscher Finanzdienstleister geht hier sogar noch einen Schritt weiter und nutzt in allen Vertriebskanälen die gleiche Informationsbasis. So können Mitarbeiter in der Filiale vor Ort auf Informationen zurückgreifen, die der Kunde mit einem Call-Center ausgetauscht hat. Das macht die Beschwerdebearbeitung erheblich effizienter, weil der Kunde sein Anliegen nicht mehrfach erklären muss und sich entsprechend ernst genommen fühlt.

Die schnelle bzw. zeitgleiche Konfiguration von Dienstleistungen und Services wird zunehmend von Finanzdienstleistern genutzt. Diese generieren Informationen, die zum Kunden existieren oder von diesem zur Verfügung gestellt werden und können so individuelle Pakete, die der Lebenssituation des Kunden entsprechen, schnüren. So können Parameter wie Vertragslaufzeiten, Raten, Ausstiegsmöglichkeiten, Prämien etc. zusammengestellt werden. Im Idealfall richten sich die ermittelten Tarife dann noch nach den bereits vorhandenen Geschäftsbeziehungen mit dem Kunden und den Erfahrungen mit ihm.

Die Hindernisse und Probleme auf dem Weg zum kundenorientierten Servicewettbewerb sind beachtlich. Allerdings bieten sich aufgrund der mangelnden Erfahrung aller Marktteilnehmer mit der neuen Situation noch vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, die von innovativen EVU genutzt werden können, um ihre Position zu festigen oder auszubauen.


Autor: Jörg Sendele
ist Senior Consultant der TransConnect Consulting Group, München-Düsseldorf-Wien und verantwortlich für die Themen Infomation Technology, eCommerce und Customer Management.

eingestellt am 12. Juni 2001