Cambridge Analytica-Geschäftsführer Nix im Interview: „Auch hier sind große Mengen von aggregierten Datensätzen erhältlich“

Mächtiger Manipulator: Seit ihrer Arbeit für Donald Trump steht die britische Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica (CA) im Zentrum der Aufmerksamkeit. Nun aber haben Ermittler die Analysefirma Cambridge Analytica durchsucht. Das Unternehmen soll Millionen Facebook-Daten unrechtmäßig gesammelt haben. Im asw-Interview im Oktober 2017 sagte CA-Geschäftsführer Alexander Nix, wie er Daten erhält, was Mikrotargeting in der Bundestagswahl hätte bewirken können und warum die Werbebranche im Umbruch ist.
Alexander Nix auf der Bühne bei den Online Marketing Rockstars 2017

Herr Nix, Ihre Firma hat den Wahlkampf von Donald Trump unterstützt und in Großbritannien die Brexit-Befürworter. War CA auch in die Bundestagswahlen involviert?

Nein. Wir haben vorher mit verschiedenen Parteien gesprochen. Es gab durchaus Interesse, aber einige befürchteten wohl, dass es eine politische Debatte auslösen könnte, wenn eine Firma wie unsere die Datenanalyse übernimmt.

Die deutsche Presse hat Ihre Methoden in der Tat sehr kritisch kommentiert. Denken Sie, das wäre anders gewesen, wenn Sie nicht für Trump gearbeitet hätten?

Viele Leute verstehen nicht, dass wir keine politische Firma sind. Wir stülpen keine Ideologie über unser Geschäftsmodell. Wir begleiten jedes Jahr mehrere Wahlen irgendwo auf der Welt, von Amerika über Argentinien, Indonesien und Rumänien bis Kenia. Dabei sind genauso viele Politiker links wie rechts von der Mitte. Wir sind eine Tech-Firma, die ihren Auftraggebern den bestmöglichen Service bietet, wie ein Anwalt.

Gibt es Klienten, für die Sie nicht arbeiten würden?

Wir arbeiten nicht für Randparteien. Wir engagieren uns auch nicht in Ländern, die keine fairen und freien Wahlen abhalten.

Würden Sie für die AfD tätig werden?

Bestimmt nicht. Aus unserer Sicht ist das eine Randpartei. Damit verbinde ich kein Urteil über ihre politischen Aussagen. Als Unternehmen würden wir aber den Unfrieden innerhalb unserer Belegschaft und die negative Publicity vermeiden wollen, die mit einem Auftrag verbunden wäre.

Was hätten Sie für Angela Merkel tun können?

Wenn Kanzlerin Merkel sehr detaillierte Daten über ideologische Einstellungen vorgelegen hätten, wäre sie nicht so überrascht über die Welle von AfD-Wählern gewesen. Sie hätte sie so ansprechen können, dass sie zurück zur Mitte gefunden hätten. In eine Wahl zu gehen und diese Daten nicht zu haben, ist einfach unnötig.

Wieso sind Sie so sicher, dass Sie die richtigen Erkenntnisse gehabt hätten?

Wie der Name Big Data schon sagt: Wir können Millionen von Daten auswerten. Nur so erhält man die Wahrhaftigkeit, die man für akkurate Prognosen braucht. In Meinungsumfragen sollen ein paar hundert oder tausend Leute repräsentativ für ein Land mit vielen Millionen Wählern sein. Das ist unmöglich.

Welche Quellen könnten Sie in Deutschland nutzen?

Obwohl hier, anders als etwa in den USA, eine Opt-In-Datenkultur herrscht, sind große Mengen von aggregierten Datensätzen erhältlich: Kreditkartendaten, Daten über das Einkaufsverhalten und die Mediennutzung….Wir können sie nicht auf das Individuum herunterbrechen wie in Amerika. Aber wir können Gruppen mit gleichen demographischen Merkmalen betrachten, mit ähnlichem Konsumverhalten und Lebensstil.

Einige Experten zweifeln Ihre Analysen an.

Wie effektiv wir sind, zeigt sich am Erfolg. Trump hat seine Nominierung in dem größten Bewerberkreis gewonnen, den es je bei den Republikanern gab. Dann schlug er die demokratische Wahlkampfmaschine, die fast doppelt so viel ausgab und ein viel größeres Datenanalyse-Team hatte. Die Kampagne von Ted Cruz, an der wir mitgewirkt haben, war noch besser.

Aber der Senator aus Texas konnte sich nicht durchsetzen.

Er hat den Vorwahlkampf der Republikaner nicht gewinnen können, aber er startete bei drei Prozent und war am Ende der einzige, der Trump gefährlich werden konnte. Dabei trat er gegen Favoriten wie Jeb Bush an, dessen Bekanntheitsgrad bei etwa 85 Prozent lag. Cruz kam nur auf 35 Prozent.

Arbeiten Sie eigentlich auch für Unternehmen?

Das macht sogar mehr als die Hälfte unseres Geschäfts aus. Aber Journalisten interessiert nicht, dass wir helfen, Autos und Zahnpasta zu verkaufen und Kampagnen zur Gesundheitsprävention unterstützen. Sie wollen nur über Donald Trump schreiben.

Inwieweit unterscheidet sich Mikrotargeting für Unternehmen von dem für Politik?

Grundsätzlich gar nicht. Natürlich braucht man unterschiedliche Datensätze und andere Interpretationsmuster, aber im Kern geht es um das Gleiche.

Weil eine politische Partei im Endeffekt auch ein Produkt ist?

Alle unsere Entscheidungen werden von unserer Persönlichkeit geformt und beeinflusst. Wer wir sind und wie wir die Welt sehen, prägt unsere Ideologie, und die prägt unser Verhalten, ob es ums Einkaufen geht oder ums Wählen.

Was bieten Sie Unternehmen konkret an?

Wenn Sie die Informationen haben, um Ihre Kunden zu clustern, können Sie verstehen, warum bestimmte Cluster so einkaufen und nicht anders. Dann können Sie Leute identifizieren, die nicht Ihre Kunden sind, aber es sein sollten, weil sie genauso in das Cluster passen. Sie könnten sie mit maßgeschneiderten Botschaften ansprechen, mit den richtigen Produkten und Dienstleistungen.

Das setzt allerdings einen hohen Technisierungsgrad voraus.

Wenn Unternehmen das selbst nicht können, können wir ihnen diese Infrastruktur bauen und Mitarbeiter schulen. Ich glaube fest daran, dass mehr und mehr große Marken selber die Kontrolle über ihre Daten ausüben möchten. Warum sollten Unternehmen ihr wertvollstes Kapital außer Haus geben, an eine Werbeagentur?

Was können Marketer von Ihnen lernen?

Wir sehen den Beginn einer Revolution. Nahezu jede andere Branche hat sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verändert, aber in Werbung und Marketing blieben die Abläufe im Wesentlichen gleich. Es geht immer noch von oben nach unten: Kluge Leute kommen zusammen und kreieren Botschaften. Die werden in Werbeformate verpackt, und dann hofft man, dass sie wirken.

Das mag in den 1960er und 1970er Jahren so gewesen sein.

Das gibt es heute noch. Es wird immer auf die Planungsabteilungen verwiesen, aber nach meiner Erfahrung wird da viel Post-Rationalisierung betrieben. In Wahrheit ist es doch oft so: Der Kunde findet die Kreation gut, die Agentur bekommt das Budget, und alle sind glücklich. Das ist aber kein empirischer Ansatz für eine Milliardenbranche. Was jetzt passiert, ist, dass Marketing von unten nach oben gestaltet wird: Wir identifizieren anhand von Daten, welche Botschaften verschiedene Empfängergruppen hören sollten und wie Kommunikation in Wort und Bild aussehen muss, um Verhalten besonders effektiv zu beeinflussen. Erst dann beginnt der kreative Prozess.

Sie können aus Ihren Daten nur die Vergangenheit ablesen. Ein Marketer mag Bedürfnisse wecken, die zuvor gar nicht vorhanden waren.

Wie soll er das denn machen ohne Daten?

Weil er ein geniales Gespür für Trends hat.

Okay. Es mag gelegentlich Zufallstreffer geben. Aber das kann nicht das Fundament einer Branche mit hunderttausenden Agenturen und Millionen von Angestellten sein und auch nicht Entscheidungsgrundlage für die Budgets großer Marken.

Steve Jobs hat mal gesagt, die Leute wüssten nicht was sie wollten, bevor sie es nicht gesehen hätten.

Steve Jobs war ganz sicher ein Innovator, in jeder Beziehung. Er hatte eine Vision, er verstand den Markt. Aber wie viele Führungskräfte sind wie er? Man kann doch keine Branche auf Freaks aufbauen.

Wie wird die Werbebranche in zehn Jahren aussehen?

Vollkommen anders. Die Marktanteile wandern von Konglomeraten wie Omnicom und WPP zu disruptiven Unternehmen wie uns. Schauen Sie nur, wie die Aktie von WPP in den vergangenen Monaten runtergegangen ist. Die großen Agenturgruppen haben Datenanalyse-Unternehmen akquiriert und versuchen verzweifelt, ihre kreativen Möglichkeiten mit der Frontend-Daten-Fähigkeit zu vereinen. Aber das ist nicht so einfach. Viele große Unternehmen werden sich entweder grundlegend ändern oder sterben.

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.