Brot & Butter vor Twitter & Co.

Alle reden von der digitalen Revolution. Ob es wirklich eine ist, sei einmal dahingestellt. Tatsache aber ist: Kein Händler kann sich dem Hype entziehen, den das Internet mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten erzeugt. Täglich entstehen Internetdienste und Applikationen, die neue Marketingchancen bieten. Der jüngste Clou sind lokale Netzwerke: Das Webportal Groupon betreibt schwunghaften Handel mit Rabattgutscheinen und gilt bereits als Shootingstar des regionalen Onlinemarketings. Facebook startete vor kurzem die Plattform Places, auf der Einzelhändler gezielt Konsumenten im Umkreis ihres Geschäfts bewerben können. Mobile Apps wie Gowalla versorgen Smartphone-Nutzer mit Angeboten vor Ort.

Vielen Einzelhändlern schwindelt angesichts solcher Trends. Denn längst nicht alle beherrschen den Umgang mit digitalen Marketinginstrumenten. Rund die Hälfte der Händler scheut den Weg ins Netz, hauptsächlich aus Mangel an Kapazitäten und methodischem Know-how. Ganz anders ihre Kunden: Mehr als zwei Drittel der Deutschen gehen regelmäßig online – auch und zunehmend über mobile Geräte. Dem neuen Kommunikationsverhalten der Verbraucher tragen die Unternehmen bislang nur ansatzweise Rechnung.

Andere Händler reagieren umgekehrt. In der Hektik des Onlinehypes neigen sie dazu, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Da wird sich an Facebook- und Twitter-Kampagnen versucht, bevor auch nur das Suchmaschinenmarketing richtig läuft. Wer aber anfängt, über Social Media oder Mobile Apps nachzudenken, sollte das digitale Brot- und Buttergeschäft bereits sicher beherrschen. Schon einfache Displaywerbung lässt sich zielgruppenspezifisch aussteuern und entfaltet so eine hohe qualifizierte Reichweite.

Solides Handwerk ist ein wichtiger Erfolgsfaktor, eine pragmatische Haltung gegenüber den neuen Medien der andere. Auch hier können Händler von ihren Kunden lernen: Konsumenten definieren sich nicht als On- oder Offliner – tatsächlich sind sie „No liner“. Bei ihrer Suche nach Kaufgelegenheiten machen sie keinen Unterschied zwischen den Kanälen, sondern erwarten eine konsistente Ansprache – hier wie dort.

Ihre Erwartung wird jedoch enttäuscht, solange der Handel sein digitales Geschäft strikt vom stationären trennt. Das gilt vor allem für das Datenmanagement. Das traditionelle Denken „online versus offline“ ergibt vor dem Hintergrund des multimedialen Konsumentenverhaltens keinen Sinn mehr. Die Zukunft gehört integrierten Marketingkonzepten, die sämtliche Aktivitäten konsequent am Kunden ausrichten – unabhängig vom Kanal.

Wie viel Onlineanteil ein Marketingmix letztlich haben sollte, misst sich daran, mit welchen Instrumenten ein Händler seine Zielgruppen am effektivsten erreicht. Unternehmen sollten sich die Zeit nehmen, ihr Marketing sorgfältig auf die Bedürfnisse ihrer Kunden abzustimmen und Onlinekompetenzen systematisch aufzubauen. Denn die Digitalisierung des Marketings ist weniger Revolution als Evolution. Sie vollzieht sich nicht über Nacht. Nur verschlafen sollte man die Entwicklung nicht – dazu ist sie zu nachhaltig.

Über den Autor: Jesko Perrey, Partner im Düsseldorfer Büro von McKinsey & Company, ist Leiter der deutschen Marketing & Sales Practice und des Funktionsbereichs Branding & Marketing Spend Effectiveness. Er ist Autor und Herausgeber einer Reihe von Marketing-Fachbüchern.