Automobilherstellern fehlt die Vermarktungsstrategie

Die Automobilbranche hat sich von der Telematik Milliardenumsätze versprochen. Tatsächlich fehlt den Herstellern aber eine klare Vermarktungsstrategie.

Obwohl die meisten Automobilhersteller eine breite Palette unterschiedlicher Telematikanwendungen anbieten, bleiben die Umsätze weit hinter den Erwartungen zurück. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung Simon Kucher & Partners. „Den Automobilherstellern fehlt eine klare Vermarktungsstrategie wie auch die zündende Ideen, um die Teleamtikanwendungen zu einer Killerapplikation zu machen“, sagt Dr. Georg Tacke, Senior Partner und Automobil-Experte bei Simon Kucher & Partners.

Dabei hatten die Hersteller hehre Ziele, vor allem für Anwendungen, die im direkten Zusammenhang mit der Sicherheit des Fahrers und des Autos stehen – wie automatische Crash-Sensoren oder Diebstahlortung. Aber in diesem Segment klaffen die prognostizierten Zahlen und die tatsächliche Markterschließung weit auseinander. Andere Telematik-Dienste wie Mautsysteme und Flottenmanagement stehen technisch sogar noch ganz am Anfang.

Doch es gibt Lichtblicke: Die größten Absatzerfolge erzielten Hersteller im Segment „Vordersitz“. Dieser Bereich umfasst die Kommunikation und Information für Fahrer und Beifahrer, z.B. die dynamische Stauinformation. Gestiegen ist auch der Absatz von Navigationsgeräten, der sich in den letzten vier Jahren in Deutschland auf mehr als 700 000 verdreifacht hat.

Was muss getan werden, damit sich die hohen Erwartungen an den Telematikmarkt von Herstellern und Käufern erfüllen? Ausgehend von den Ergebnissen der durchgeführten Studie der Bonner Unternehmensberatung lassen sich vier wesentliche Erfolgsfaktoren identifizieren:

Richtiges Maß der Kontrolle über die Telematik-Wertschöpfungskette

Ein Blick auf die Telematik-Wertschöpfungskette (siehe Abbildung) macht deutlich, dass sich der potentielle Gewinn aus Telematikanwendungen auf unterschiedliche Marktteilnehmer verteilt. Werden es die Hard- und Softwarehersteller sein, die am meisten von einem Telematik-Boom profitieren werden? Oder sind es Unternehmen wie Tegaron und Vodafone-Passo, die als Content- und Service-Provider die notwendigen Information liefern und aufbereiten?

Eindeutige Antworten auf diese zentrale Frage kennt zur Zeit niemand. Es ist möglich, dass das Hardware-Geschäft im Telematikmarkt zunächst von den Nachrüstern gemacht wird. Es kann der Automobilindustrie aber immer noch gelingen, den Markt wieder einzufangen, wie es im Fall der Autoradios geschehen ist.
Fest steht: Nur die Automobilhersteller mit entscheidendem Einfluss auf diese Wertschöpfungskette können langfristig Telematik-Produkte anbieten, die auf die Bedürfnisse ihrer Kunden abgestimmt sind.

Entwicklung von Produkten, die einen echten Nutzen für den Kunden stiften

Einen wichtigen Impuls für die Entwicklung des Telematikmarktes hat BMW mit der Einführung des Bedienungssystems i-Drive in seiner neuen 7er-Reihe gegeben. In keinem anderen in Serie hergestellten Fahrzeug hat man es bis jetzt verstanden, unterschiedliche Telematikanwendungen so benutzerfreundlich in die elektronische Systemarchitektur zu integrieren.

Ob der Telematikmarkt weiter an Fahrt aufnehmen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, inwieweit es gelingen wird, die Kunden mit attraktiven Produkten zu überzeugen. Hierzu muss jeder Hersteller die Bedürfnisse seiner Kunden aufdecken und analysieren. Denn erst mit dieser Kenntnis lassen sich Produkte entwickeln, die einen echten Mehrwert bieten. Ein Patentrezept für eine erfolgreiche Produktstrategie für alle Automobilhersteller gibt es nicht.

Schaffung eines langfristigen Mehrwertes gegenüber Nach- und „Offboard“-Systemen

Ein zukünftiger Stolperstein für die Automobilhersteller besteht in den sog. Offboard-Systemen, wie PDAs (Personal Digital Assistent) oder leistungsfähigen Handys. Wenngleich heute die meisten Telematik-Endgeräte fest in die System-Architektur des Cockpits eingebunden sind, ist es wahrscheinlich, dass Offboard-Systeme (wie z.B. von Mobile-Aria) und Nachrüst-Geräte zunehmend die Aufgaben von fest installierten Geräten übernehmen werden. Lange Modelllaufzeiten auf der einen und die schnelle technische Entwicklung in der Telekommunikationsbranche auf der anderen Seite werden diesen Prozess der Substitution beschleunigen. Aufgabe der Automobilhersteller muss es sein, schon heute Strategien zu entwickeln, die einen langfristigen Mehrwert installierter Systeme gegenüber den Nachrüst- und „Offboard”-Systemen schaffen.

Kundenanalyse und Marktsimulation

Gerade in Europa haben die Automobilhersteller durch ihr zögerliches Verhalten wenig Daten, um die Marktentwicklung abzuschätzen. Um so wichtiger ist es, gültige Informationen über ein mögliches Marktverhalten zu sammeln. Multivariate Methoden, wie das Conjoint Measurement, stellen ideale Instrumente dar, um die Präferenzen der Kunden zu analysieren und entsprechende Produktstrategien abzuleiten. Ausgehend von generierten Marktdaten lassen sich mit Hilfe von Simulationsmodellen (Decison Support Modellen) Szenarien simulieren, die bei der Beantwortung der Frage „Telematik: quo vadis?“ wichtige Informationen liefern.

Die Entwicklung der Telematik bleibt unsicher. Doch statt weiter abzuwarten, sollten sich die Automobilhersteller für die Zukunft rüsten. Ob es ihnen gelingt, das zarte Pflänzchen Telematik nicht nur zum Wachsen, sondern auch zum Tragen von Früchten zu bringen, hängt also von vier Punkten ab:

  1. Richtiges Maß der Kontrolle über die Telematik-Wertschöpfungskette.
  2. Entwicklung von Produkten, die einen echten Nutzen für den Kunden stiften.
  3. Schaffung eines langfristigen Mehrwerts gegenüber Nachrüst- und „Offboard“-Systemen.
  4. Kundenanalyse und Marktsimulation.

Autoren: Frank Bilstein und Gregor Buchwald, Simon – Kucher & Partners
eingestellt am 20.März 2003