„Auf meiner Visitenkarte steht etwas, das Ingenieure verstehen“

Professor Klaus Backhaus, Leiter im Institut für Anlagen und Systemtechnologien der Universität Münster, lehrt und forscht mit Bezug zur Praxis. Der mehrfach ausgezeichnete Preisträger spricht mit Thorsten Garber in der Novemberausgabe der absatzwirtschaft über seine Karriere, seine Art, Wissen zu vermitteln, und über aktuelle Entwicklungen in seiner Forschungsdisziplin. Einen Auszug lesen Sie hier.

Herr Professor Backhaus, Studenten wählten Sie im Ranking der Zeitschrift „Unicum“ unter die „Top Ten“ der deutschen Wirtschaftsprofessoren. Auf www.meinProf.de bekommen Sie eine Weiterempfehlungsquote von 97 Prozent. Die Universität Münster bedachte Ihr Modell der Individualisierung im Massenstudiengang mit dem „Lehrpreis 2007“. Jüngst erhielten Sie mit Ko-Autor Professor Helmut Schneider für das Buch „Strategisches Marketing“ den „Lehrbuchpreis 2008“ und den „Georg-Bergler-Preis“. Erreichen Sie diese Würdigungen auf dem Gipfel Ihrer Karriere, oder darf man von Ihnen noch weitere Marketing-Großtaten erwarten?

BACKHAUS: Ob’s Marketing-Großtaten werden, weiß ich nicht. Auf jeden Fall habe ich noch nicht das Gefühl, zu Ende oder am Ende zu sein. Ich bin zwar schon 61 Jahre alt, habe also nach normalem Verlauf noch vier Jahre Zeit. Wir haben aber soeben erst einen neuen Forschungsschwerpunkt aufgemacht: Verhandlungsanalyse. Ein Gebiet, das bislang international noch unterbelichtet ist. Dem werden wir uns nun zuwenden. Dafür haben wir schon Drittmittel eingeworben, so dass meine Forschungstätigkeit also voraussichtlich länger anhält als bis zu meinem 65. Lebensjahr.

Die Marke Backhaus besteht jetzt seit 61 Jahren. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse und Errungenschaften, quasi Ihr Unique Selling Proposition im Beruf?

BACKHAUS: Wir sind ja nicht nur auf einen USP aus, sondern auf einen KKV: Ein Akronym für Komparativer Konkurrenzvorteil, der neben einer Effektivitätsdimension auch eine Effizienzdimension beinhaltet. Diesen Begriff haben wir als unser Markenzeichen schützen lassen. Wir stehen hier, wenn Sie nach dem Markenkern fragen, für Industriegütermarketing. Und ich glaube, dass man mit meinem Namen auch wirklich Industrie- oder BtoB-Marketing verbindet. National und international. Wir haben das Standard-Lehrbuch dazu auf dem deutschen Markt. Derzeit verhandeln wir darüber, eine chinesische Übersetzung auf den Weg zu bringen.

Gibt es noch weitere Markenzeichen?

Als zweites Markenmerkmal gibt es vielleicht noch etwas Quantologie im Sinne von Statistik dazu. Wir haben dazu ein Lehrbuch herausgebracht, „Multivariate Analysemethoden“, das gerade in der 12. Auflage auf deutsch und chinesisch erschienen ist. Es hat mit über 100 000 verkauften Exemplaren sicherlich für ein Lehrbuch eine seltene Auflagenzahl erreicht. Intern nennen wir es den „Simmel der Betriebswirtschaftslehre“.

Gibt es eine Maxime, der Sie folgen?

BACKHAUS: Ich habe sicher – anders, als viele meiner Kollegen – immer sehr stark zu dem gestanden, was ich verkörpern wollte, nämlich zum Industriegütermarketing. Ich habe mich nicht rechts oder links ablenken lassen, sondern mein Kerngebiet vorangetrieben – national wie international. Ich glaube, ich bin nach wie vor noch der Einzige, der einen Lehrstuhl oder ein Institut für Marketing im Business-to-Business hat. Es heißt zwar Institut für Anlagen und Systemtechnologien, aber das hat damit zu tun, dass zu unserem Klientel vor allem Ingenieure gehören. Und die haben es nicht so mit dem Marketing. Deshalb muss ich etwas auf meiner Visitenkarte stehen haben, was Ingenieure verstehen. Das gehört sozusagen zu unserem eigenen Marketingkonzept.

Wie bewerten Sie den Einfluss der deutschen Hochschullandschaft auf die Marketing-Praxis, wie den Status des Standortes Münster in der Nach-Meffert-Zeit und wie Ihren eigenen Wirkungsgrad?

BACKHAUS: Ich fange mal mit der Makro-Fragestellung an: Wie sehe ich den Einfluss der Praktiker auf Marketing-Trends generell? Da antworte ich: Wir waren immer schon gut beraten, auf die Probleme zu hören, die sich in der Praxis stellen. Wir haben uns meist Fragestellungen aus der Praxis angenommen. Ich betone: Fragestellungen! Lösungen sind natürlich auch in der Praxis entwickelt worden, aber oft sind für Fragestellungen aus der Praxis die Lösungen an den Hochschulen erforscht worden.

Das sagt wenig über einen richtungweisenden Einfluss aus.

BACKHAUS: Wie die deutsche Marketing-Wissenschaft dasteht, muss ich differenziert beschreiben: Im Industriegüterbereich hat nicht nur die deutsche, sondern auch die europäische Wissenschaft sicher Trends gesetzt. Die Forschungsgruppe „Industrial Marketing and Purchasing“, kurz IMP, bringt sogar eine eigene Zeitschrift und Bücher heraus und hat auch die amerikanische Industriegütermarketing-Szene stark beeinflusst. Wir beteiligen uns an den Veranstaltungen der IMP. Für das Industriegütermarketing kann man ohne Übertreibung sagen, dass die Wissenschaft – anders, als im Konsumgütermarketing – hier die originären Schwerpunkte in Europa setzt. Die Amerikaner haben zwar 1936 das erste Industriegütermarketing-Lehrbuch herausgebracht, aber die Europäer haben hier konzeptionell theoretisch viel geleistet. Auch was wir im Konsumgütermarketing als aktuelle Themen wie Beziehungsmarketing finden, hat im Industriegütermarketing schon immer eine Rolle gespielt.

Was heißt das konkret?

BACKHAUS: Wir haben uns mit anderen Paradigmen auseinandergesetzt. Das Interaktions-Paradigma hat uns geleitet. Wenn Sie Persil vermarkten, steht Ihr Produkt im Regal mit einem Preis, und der Verbraucher kann entscheiden, ob er’s kauft oder nicht. Viele Industriegüter werden so nicht vermarktet, sondern in einer Interaktion. Nach dem Motto: „Ich erkläre Dir mein Problem, Du bietest mir dazu eine Lösung.“ Die Partner verhandeln über Leistung und Gegenleistung. Dazu haben die Europäer mehr Beiträge geliefert als die Amerikaner.

Wollen Sie damit sagen, dass das hiesige, universitäre Industriegütermarketing mehr in der Praxis bewirkt hat als das Konsumgütermarketing?

BACKHAUS: Es ist eigentlich ein Treppenwitz: Die Industriegütermärkte in Deutschland sind vier Mal so groß wie die Konsumgütermärkte und sind doch von der Marketing-Wissenschaft sehr viel weniger versorgt worden. Das liegt natürlich auch daran, dass die Industriegütermärkte für die Forscher nicht so praktisch anschaulich sind. Wie man Persil verkauft, kann sich jeder vorstellen. Wie man eine Industrieanlage verkauft, etwa ein Kraftwerk nach Saudi-Arabien, ist schon weniger evident. IMP hat insbesondere durch den Einsatz von intensiven Fallstudien in der Forschung Bahnbrechendes geleistet.

Ihre Herangehensweise ist also eine andere?

BACKHAUS: Natürlich. Wir blicken auf einen Prozess, den man im Konsumgütermarketing etwa mit Formeln wie AIDA für „Attention, Interest, Desire, Action“ beschrieben hat, die aber in der Praxis so gar nicht auseinandergehalten werden können. In welcher Phase der Kunde gerade ist, können Sie ja nur selten oder gar nicht feststellen. Ob jemand in der Anfragephase steht, in der Angebotserstellungsphase oder in der Kundenverhandlungsphase – das wissen die Marktbeteiligten auf Industriegütermärkten. Dafür können wir phasenspezifisch Marketingkonzepte entwickeln. Manche Instrumente spielen in gewissen Phasen eine große Rolle, etwa der Preis in der Verhandlungsphase. Aber eben auf andere Art und Weise als im Angebotsstadium.

Das Gespräch ist Auszug eines Interviews, das Thorsten Garber für die Print-Ausgabe der absatzwirtschaft führte. Das vollständige Interview lesen Sie in der absatzwirtschaft 11/2008.